Angelika Niescier mit „Sublim“ in der Rüsselsheimer Jazzfabrik, 25. April 2003

Das Konzert beginnt mit einer sperrigen Einleitung auf dem Piano. Ein paar Akkordblöcke, einige kurze Single-Note-Figuren. Rhythmische Verschiebungen. Dann reißt Hans Lüdemann die Saiten des Flügels mit den Fingern an, schabt sie mit einem Metallstab, verfremdet den Ton mit Glas. Ein Klangraum wird ausgelotet, den dann die Saxophonistin Angelika Niescier mit einer hymnischen Melodielinie auf dem Sopransaxophon betritt. Lang und geschwungen, voller Energie. Aus dem langsamen Suchen wechselt das Quartett zum Up-Tempo-Part.

Spiritualität spielt für die junge in Stettin geborene und in Köln lebende Künstlerin eine besondere Rolle. Sie verleugnet ihren musikalischen Ziehvater John Coltrane nicht, sie imitiert ihn aber auch nicht. In seiner Tradition hat Niescier ihre eigene Ausdrucksform gefunden.

„Sublim“, das Quartett mit Niescier, Lüdemann, dem Bassisten Sebastian Räther und dem Schlagzeuger/Percussionisten Christoph Hillmann spielt ausschließlich Kompositionen der Bandleaderin – Stücke mit komplexen Strukturen und dennoch viel Freiraum für Improvisationen, harmonisch verschachtelt und mit gewundenen Melodielinien. Diese Möglichkeit nutzen die Bandmitglieder in den unterschiedlichen Stücken weidlich aus. Vor allem die Saxophonistin selbst, deren Soli trotz der Länge dicht genug sind, um spannend zu bleiben – und die durch die Interaktionen mit dem Pianisten noch an Intensität und notwendiger Rauigkeit gewinnen. Beide, Niescier und Lüdemann, bauen auf Repetitionen als dramaturgisches Element. Die Wirkung der Ostinati wird verstärkt durch das pulsierende Spiel des Schlagzeugers, der auch auf sehr zurückgelehnte Weise Druck und Groove erzeugt, sowie durch die sonoren Linien mit den harmonischen Verzierungen in einem ausgedehnten Solo auf dem Bass.

„Urban“ beginnt mit einem Bass-Lauf, ostinaten Melodiekürzeln auf dem Piano, einem Ruf-Antwort-Spiel der beiden Instrumente. Räther streicht den Bass mit dem Bogen, an das Kreischen von Straßenlärm erinnernd, Saxophon-Sounds assoziieren Großstadt-Hektik, Drum-Beats Maschinen-Monotonie. Vitale Rhythmen, percussiv intensiviert.

„Sublim“ bewegt sich zwar im Hauptstrom des Jazz, tritt aber dank der Experimentierfreudigkeit des Pianisten, der Flexibilität des Percussionisten und der Kreativität der Saxophonistin immer wieder über dessen Ufer. Atemlose Expressionen auf den Sopran und Altsaxophon (einer ausgefallenen Zusammenstellung) wechseln mit lyrischen Momenten, intelligente Virtuosität verbindet sich mit sinnlicher Kraft. Es gibt folkloristische Elemente nicht nur, wenn Hillmann zum Udu, dem afrikanischen Tonkrug greift. In der Zugabe „Was ich denke“ erweist Niescier ihrer polnischen Herkunft eine Reminiszenz.

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