Ein paar hingetupfte Akkorde auf dem Flügel, einige gehauchte Töne auf der Bassklarinette. Die Intensität steigert sich, die Akkorde werden kraftvoller, der Anschlag härter. Die Stakkati auf dem Blasinstrument kommen mit Wucht, zerfasern sich in Überblastechnik. Hin und wieder zitiert die Pianistin Aki Takase mit der Geläufigkeit von Fats Waller oder greift auf das sperrige Akkordspiel von Thelonious Monk zurück. Das Duo aus Berlin verbindet beim Konzert der Jazzfabrik auf der Hinterbühne des Rüsselsheimer Stadttheaters die Tradition aus New Orleans und den Free-Jazz aus Deutschland mit vielen Überraschungen und stilistischen Wendungen.
Ekstatische Stöße auf der Bassklarinette und raue Aufschreie, Akkordeinwürfe und vereinzelte Triller auf dem Flügel gehen „Zum einen Ohr hinein“ und „Zum anderen Ohr hinaus“ wie die Titel zweier kurzer Stücke aus der Feder des Mannes aus dem „Roten Bereich“ heißen. „Rudi, my bier“ nannte die in Berlin lebende Japanerin Takase das erste Stück dieses 70-minütigen Konzertes in der Backstage-Intimität, das so humorvoll klingt, wie der Titel verspricht.
Wer Aki Takase 1983 – sie war gerade erst nach Deutschland gekommen – bei den Heidelberger Jazztagen als weiblichen Gegenpart zu ihrem Cecil-Taylor-verliebten Landsmann Yosuke Yamashita erlebt hatte, der stellt fest, dass selbst schon Tradition ist, wie ihr Flirten mit dem alten Jazz den früher eher intellektualisierenden, lustfeindlichen europäischen Free-Jazz vitalisiert. Bands, wie „Underkarl“ oder „Der rote Bereich“ belegen, dass die dialektische Aufarbeitung des frühen Jazz im freien Spiel erst durch Humor seinen besonderen Reiz erhält. Jux und komplex, Motorik und Lyrik.
„Creme au caramel“, „Nightingale Ricecake“, „Mobilat“, „Tintenfisch in Wien“ und „Granatapfelsirup“ sind Kompositionen der beiden Künstler, die ihnen viel Freiraum lassen für hymnische Sounds im Unisono-Spiel von Piano und Bassklarinette, für Takases perlende Läufe auf den Tasten, die kraftvollen Akkordschichtungen sowie einige harmonielauflösende Unterarm-Cluster. Dazu bläst Mahall hoch energetische Tongewitter, rasende Stakkati mit überblasenen Aufschreien, zart gehauchte Töne, in denen die Luftsäule die Klangfarbe mitbestimmt. Dann wieder knallende Schnalzer vor dem Mundstück.
Nach einer „Selbstkritik Nummer eins“ mit einem fließenden Piano-Solo und einem schnellen Lauf auf dem Blasinstrument folgt im filigranen Duo ein perfekter Notenwechsel von Single-Notes auf dem Flügel und Tonfolgen auf der Bassklarinette, der kräftiger und intensiver, schneller und robuster wird, um dann wieder in ein verträumt lyrisches Zwischenspiel zu fallen. Ein schneller Part mit abgehackten und verschmierten Stößen zu hart gehämmerten Linien schließen die Komposition ab. Auf einen treibenden Boogie-Lauf folgen eine nahezu klassizistische Zitatensammlung, die abrupt abgebrochen wird, um in Ragtime-Seligkeit zu münden.
Bizarr und sinnlich, aufregend und entspannend, humorig und voller Überraschungen, sanft und energetisch – diese Musik ist alles zugleich, ist ein Spiel mit und voller Gegensätze. Das Publikum, das solche Musik goutiert, ist zahlenmäßig nicht groß, aber kenntnisreich. Es forderte zwei Zugaben – wobei die letzte viel versprechend die Zeile „Back in Town“ enthält.