Das Jazzfestival Saalfelden ist ein Festival mit Geschichte. Man kann es leicht an einigen der im Festivalbereich zahlreich und großzügig gehängten Fotografien ablesen. Viele sind dabei, die ich gern noch einmal live hören würde: George Adams, Dewey Redman, Don Cherry… und einige wunderbare Musiker mehr, die leider nicht mehr unter uns weilen.
Im Jahr 2010 spielte der Jazz zum 31. mal in den österreichischen Bergen und glücklicherweise blieb das Programm „staubfrei“. Wie gehabt ein Jazzfestival mit klaren Konturen, ein Spielfeld für den Jazz abseits des Mainstreams, mit teilweise experimentellem und wagemutigem Jazz und ein leuchtendes Beispiel dafür, dass es noch Jazzfestivals gibt, die darauf verzichten können, das Publikum mit Jazz-Fast-Food abzufüttern oder es nötig haben zu versuchen mit blankem Pop die Jazzhütte zu füllen. „It’s all about profile“ möchte man sagen…
Äußerst angenehm, und ausgesprochen praktisch bei Regen, ist die räumliche Nähe der Veranstaltungsstätten. Im Zentrum die „Main Stage“ im Kongresszentrum mitten in der Stadt, ein paar Gehminuten entfernt das „Kunsthaus Nexus“ mit seiner kleineren Bühne für die sogenannten „Short Cuts“ und schließlich auf dem Rathausplatz die City Stage mit ihren kostenlosen Freiluftkonzerten.
Subway Moon (Foto: Schindelbeck)
Zwar gab es auch in Saalfelden alte Bekannte – manche Wohlbekannte – wieder zu treffen aber die stammen aus der Kategorie „originell“ und „…erfinden immer wieder Neues“. In letztere Kategorie fällt gewiss der gewitzte New Yorker Roy Nathanson, der gleich mit zwei Formationen in diesem Jahr das Programm bereicherte. Er eröffnete die Short Cuts Reihe mit seiner Band „Sotto Voce“ – die zu diesem Anlass unter dem Namen „Subway Moon“ auftrat – dem Titel seines Lyrikbandes, der beim Kölner Verlag Buddy’s Knife erschienen ist. Seine vertonten Gedichte reichen von witzigen bis skurrilen Beobachtungen aus New Yorks Subway, dem Leben und Überleben im Big Apple, bis hin zu zutiefst persönlich geprägten Skizzen wie „Dear Brother“, in dem er Gedanken an seinen früh verstorbenen Bruder in Worte fasste.
Mit auf der Bühne für zwei Stücke, der wohl jüngste Musiker des Festivals, Nathansons Sohn Gabe an der Trompete und als Backgroundsänger im Duett mit Posaunist Curtis Fowlkes. Musikalisch spannt sich der Bogen weit. Vom einleitenden ohrwurmverdächtigen „Love Train“ – gesungen von Curtis Fowlkes inklusive Background Chorgesang der Kollegenschar – bis hin zu relativ freien Jazz-Klängen, gewürzt mit eingespielten Samples und von Nathanson über die Musik rezitierten Gedichten – Jazz Poetry – und ansonsten ein abwechslungsreicher musikalischer Cocktail mit festen Wurzeln im Jazz.
Franz Hautzinger (Foto: Schindelbeck)
Franz Hautzingers Projekt „The Third Eye“ – war ein glänzender Auftakt der „Main Stage“ Konzerte. Einerseits ein undankbarer Job, das Festival zu eröffnen andererseits mit dem verbundenen Kompositionsauftrag eine besondere Ehre und die Chance mit einem eigens zusammengestellten Ensemble etwas ganz Besonderes auf die Bühne zu stellen. Seine „carte blanche“ und die Aufgabe hat Hautzinger glänzend gelöst, anders kann man es nicht sagen. Formidable Mitmusiker hatte er um sich geschart, die Rhythmusgruppe mit William Parker und Tony Buck stellt mit das Beste, was die freie Szene in New York zu bieten hat und auf der anderen Seite Hilary Jeffrey an der Posaune und der in Köln lebende und aus Neuseeland stammende Saxofonist Hayden Chisolm ergänzten exzellent Franz Hautzinger auf seiner Vierteltontrompete.
William Parker(Foto: Schindelbeck)
Franz Hautzinger hat sich mit seiner Komposition wieder mit dem Jazz versöhnt – so sagt er selbst. Lange Jahre konnte er sich mit der aktuellen Jazzszene nicht identifizieren und fühlte sich auch nicht als Teil davon. Allzu sehr schien ihm die auf Hochglanzschein und Selbstdarstellung fixiert und allzu weit weg von den spirituellen Wurzeln dieser Musik. Seine Komposition changiert zwischen hymnischer Brillianz und dichter Fiebrigkeit. Musik, in der der Geist der großen Vorbilder mitschwingt. Ein grandioser Brückenschlag zwischen afro-amerikanischen Wurzeln und Modernität, bis hin zum neutönerischen Vierteltonkonzept, das nahtlos und natürlich neue Türen aufstößt. Dynamische Kollektivimprovisationen voller ursprünglicher Kraft und Wildheit die nahtlos in behutsamen, hingetupften und gehauchten Passagen ausklingen. Hautzinger wollte mit seiner Arbeit „intuitiv an die Essenz des Jazz gehen“ – es ist ihm überzeugend gelungen. Aus den Musikern auch nur einen heraus zu heben ist beinahe unverschämt – aber trotzdem: Hayden Chisolm ist schlicht großartig. Seine Soli fliegen dahin: Lässig, souverän und elegant.
Hayden Chisolm & Franz Hautzinger (Foto: Schindelbeck)
Die Nähe zur Essenz des Jazz: Improvisation, Entdeckerfreude, Originalität gelingt überhaupt erstaunlich oft in Saalfelden. Das klappt mit den hervorragenden zeitgenössischen Vertretern des amerikanischen Jazz ebenso wie mit den in Saalfelden spielenden österreichischen Eigengewächsen.
Marc Ribot gehört zu den er erstgenannten und er spielte am Samstag ein Solokonzert bei den Shortcuts. Ein Mann, eine Gitarre, eigentlich zwei Gitarren – die elektrische stand hinter ihm und wurde erst zur Zugabe angerührt – und bei keinem Konzert wurde deutlicher, wie netzlos man sich Musiker an die Improvisation heran tasten kann. Aus einfachen Phrasen spinnt er nach und nach immer komplexere Strukturen. Ruhige, freie Improvisationen, gewunden und komplex. Nur manchmal „ruht“ er sich in einfacheren Songstrukturen aus. Zur E-Gitarre greift er erst zur Zugabe, sinngemäß mit der lakonischen Bemerkung, dass er das Geraffel schließlich mühsam mitgeschleppt habe. Eine John Cage Komposition spielte er da noch – die allerdings gnadenlos übersteuert, die mich dann doch aus dem Raum getrieben hat…
Marc Ribot (Foto: Schindelbeck)
Nicht ganz komplett habe ich auch das Konzert des italienischen Trios „Zu“ durchgehalten. Baritonsax, E-Bass und Schlagzeug – die drei Herren spielteneine Art von Punk Jazz, dem das Programmheft „brachiale Eleganz“ attestierte. Ein wenig viel brachial und weniger Eleganz für mich.
Was bei „Zu“ bei aller Vehemenz als kalkulierte Rohheit erscheint, wird beim schwedischen Saxofonisten Mats Gustafsson zur reinen Ekstase. Expression bis an die Grenze der physischen Möglichkeiten (Vorsicht, Blählunge!). Er trat mit seinem Trio Fire! ebenfalls bei den Shortcuts auf, gemeinsam mit Johann Bertling am Bass und Andreas Werliin an den Drums. Es hat etwas schamanenhaftes, wenn Werliin am Schlagzeug mit minutenlangen einfachen Schlägen auf die Basstrommeln einen einfachen Rhythmus vorgibt, der mit ein paar trockenen Basstönen hinterlegt wird. Ein spartanisch repetitiver Hintergrund für Mats Gustafsson. Und der lässt sein Saxophon brüllen als gäbe es kein Morgen.
Mit ähnlichem Powerplay war Gustafsson dann auch auf der Main Stage zu hören. In der größeren Besetzung mit „The Thing XXL“ wurde diese Mischung aus Jazz, Avantgarde und Rock noch einen Tick fetter und natürlich farbenprächtiger im Sound.
Es ist kaum möglich das ganze Festivalprogramm komplett zu hören und so sind mir einige Konzerte durch die Lappen gegangen, der letzte Tag komplett, aber auch das Mary Halvorson Trio, was ich umso mehr bedauerte, nachdem ich sie in der Band der Pianistin Ingrid Laubrock hören durfte. Eine überaus originelle E-Gitarristin, und damit das I-Tüpfelchen des ohnehin exzellenten „Anti House“ Quintetts der Saxophonistin Laubrock.
Ingrid Laubrock, Kris Davis, Mary Halvorson (Foto: Schindelbeck)
In noch etwas größerer Formation – Sextett – stand die Band von Myra Melford auf der Bühne. Mit dieser Band bin ich nicht so recht warm geworden. Einerseits zwar klasse Einzelleistungen – beispielsweise vom Trompeter Cuong Vu – und originelle Kompositionen aber mir hat ein wenig die Homogenität der Gruppe gefehlt, ein wenig zu konstruiert und kalkuliert.
Der Samstagabend versprach Großes und hielt es auch. Das Abendprogramm eröffnete das Exploding Star Orchestra. Ursprünglich hätte hier noch der großartige Free Jazz Trompeter Bill Dixon mitspielen sollen, doch der ist leider Mitte Juni gestorben. Ihm und dem ebenfalls kürzlich verstorbenen Fred Anderson widmete das Orchestra das Konzert des Abends.
Nicole Mitchell (Foto: Schindelbeck)
In gewisser Hinsicht trägt die Chicagoer Großformation das Erbe eines Sun Ra Arkestra ins Hier und Jetzt. Hier wie dort ein schier unstillbares Percussiongeflecht weniger swingend als beim Arkestra, stattdessen eher rockiger, treibender, und darüber die Kollektiv- und Einzelimprovisationen der 12-köpfigen Band. „Exploding Star“, ja, das passt. Diese Musik ist expansiv, sie nimmt den Raum ein, ist eminent expressiv. In ihren sphärischen Momenten atmet sie Weite und Raum – vielleicht hat das Exploding Star Orchestra im „space“ das Arkestra mittlerweile schon überholt…
Exploding Star Orchestra (Foto: Schindelbeck)
Am frühen Sonntag, morgens um halb Eins, das letzte Konzert des Tages und das Haus blieb voll. Galt es doch die Rückkehr einer legendären Band zu feiern. Die „Jazz Passengers“ spielten und erspielten sich im Handumdrehen die Gunst des Saalfeldener Publikums. 1987 wurde die Band um Roy Nathanson und Curtis Fowlkes gegründet, quasi als Spin-Off der Lounge Lizards. Von deren urban-unterkühlter Jazz-Attitüde finden sich bei den Jazz Passengers noch Spuren aber in erster Linie sind die Jazz Passengers Reunited eklektizistisch und bedienen sich frisch und fröhlich aus dem großen Jazzpool. Das geht dann hin bis zum Song „Reunited“, Ende der 70er Jahre ein Hit des Duos Peaches & Herb – in der Passengers Version wird daraus eine selbstironische Selbstbespiegelung im Chorgesang in Kombination mit Hardbop-Sprengseln, Geigenklängen von Sam Bardfeld und Marc Ribot, der seine E-Gitarre traktierte, dass es eine Freude war.
Jazz Passengers Reunited (Foto: Schindelbeck)
Die Jazz Passengers hinterließen ein glückliches Publikum inklusive des Jazzbloggers, der leider den letzten Tag des Festivals nicht mehr dabei sein konnte. Vorhang, Vorfreude auf 2011.
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