BlueNite Jazztage in Worms, 7.- 9. November 2003

Fünf Formationen des zeitgenössischen Jazz schlugen beim BlueNite-Festival in Worms den Bogen von der Tradition zur Modernen. Bei solchen Grenzgängen brillierten Solos, Duos und Trios sowie die Frauen.

Die drei Musiker lauschen empfindsam den Tönen nach, kommunizieren in einer Seelenverwandtschaft, die immerhin drei Generationen übergreift. Saxophonist Heinz Sauer, Bassist Stephan Schmolck und Pianist Michael Wollny  stehen im Kraftfeld von Tradition und Avantgarde. In den Trio-Improvisationen  schaffen sie Klangräume  für ihre eigenen Reflexionen und die Phantasie der Zuhörer bei den BlueNite-Jazztagen in Worms.  Ein kammermusikalisch freier Jazz, der in modalen Skalen dennoch voller Harmonie zu sein scheint. Wollny kratzt im Klangraum des Flügels, Schmolck streicht mit dem Kontrabass ätherische Sounds, Sauer lässt das Saxophon in sakraler Hymnik singen.

In ähnlicher Weise  verbinden der Saxophonist Christof Lauer und der Pianist Jens Thomas Lyrik und Expressivität, explosiven Avantgardismus und subtile Spannungsbögen. Sanft hingehauchte Lyrismen vom „Golden Lake“ münden in überblasene Free-Ausbrüche oder gar in menschliche Urschreie bei „Elements“. Stakkatohafte Tonkaskaden auf dem Saxophon antworten derimpulsiven Klangsuche auf dem Flügel.  Während des Sauer-Trio bei aller Wärme stets kontrolliert wirkt, spielen Thomas und Lauer betont emotional. Mit der Kunst der musikalischen Illustration begeistern beide Formationen – einkalkulierend, dass die Intimtät des Trios und des Duos schonungslos alle Schwächen von Interaktionen aufdecken könnte.

Der Trompetenflüsterer lässt sein Instrument atmen. Joo Kraus schnalzt und haucht ins Mundstück, die Elektronik schafft mit Hall und Loop daraus schwebende Klänge in Endlosschleifen. Der sanfte Klang wandelt sich zur harten Attacke und dann bläst Kraus unterstützt von der Technik mit und gegen sich selbst. Das ausgedehnte Solo an diesem Eröffnungsabend der Wormser BlueNite Jazztage belegt, welche innige Verbindungen Akustik und Elektronik im zeitgenössischen Jazz eingehen können.

Der solistische Ausflug war indessen eingebettet in ein sensibles, meist nachdenklich wirkendes Duo-Spiel mit dem Bassisten Markus Bodenseh. In Horace Silvers „Sister Sadie“ lässt Bodenseh zur dunkel timbrierten gestopften Trompete den Bass „straight“ marschieren, verziert die Walking-Bass-Linien mit nur wenigen Harmonieverschränkungen. In den zahlreichen Dialogen spielt er das wuchtige Instrument mit gitarrengleichen Läufen in vertrackten Melodielinien. Dann wieder in Akkordkürzeln zu den Lyrics und dem Rap-Gesang von Joo Kraus in „Lazy Afternoon“ mit der warm klingenden Trompete über den rhythmischen Loops.

Eröffnet hatte den Abend  der Mannheimer Gitarrist Claus Boesser-Ferrari, ein Grenzgänger zwischen Rock, Jazz und Folk. Er ist ein großer Geschichteneerzähler auf seinem Instrument  – mal in freier Rede, dann wieder mit tänzerischem Schwung. Rasante Akkordreihen wechseln mit feinsinnigen Single-Note-Linien, gegriffene Saitendoppel mit schwebenden oder perlenden Tonketten. Boesser-Ferrari interpretiert Naturgeräusche von säuselnden Winden bis ächzenden Ästen in seinem „Djungle Poem“, reibt die Saiten mit Fingernägeln oder klopft den Holz-Korpus des Instruments mit percussiver Präzision. Flageolett-Töne runden den Klang, die Saiten schwingen frei im Vibrato. Finger-Picking und Slidetechnik verhelfen zu klanglicher Raffinesse. Kraftvoll interpretiert Boesser-Ferrari „All Blues“ von Miles Davis, nachdenklich seine Komposition über einen Massenmörder, der im Zuchthaus zarte Gedichte schreibt, rasant und feurig „Light My Fire“ von den Doors.

„Sister Sadie“ hat seit ihrer Geburt im Jahr 1959 viel mitgemacht. Die funky Hardbop-Komposition von Horace Silver diente als Jingle für Radiosendungen, war in den Sechzigern ein kleiner Jazz-Hit, das Gil Evans Orchester nahm sich seiner schon 1960 an, der Rhythm & Blues-Saxophonist King Curtis  verliebte sich in die Kleine ebenso wie Roland Kirk.  Als die Jazz-DJ´s in den 90er Jahren die alten Blue-Note-Aufnahmen entdeckten, kam auch Sister Sadie wieder groß in Mode: Sie feierte Wiederauferstehung im Funk, Salsa und Rebop. Doch selten wurde der Ohrwurm mit den fröhlichen Bebop-Intervallen so expressiv und ausdrucksstark revitalisiert wie von dem Frauen-Trio  „Witchcraft“ und der Saxophonistin Carolyn Breuer beim Abschlusskonzert der BlueNite-Jazztage in Worms.

Die junge Künstlerin mit dem Alt-Saxophon brillierte mit irrwitzigen Läufen, rauem Ton und  ausdrucksstarker Emotionalität. Der  intensive Ausbruch auf dem Saxophon belegt überzeugend, dass Breuer musikalisch im expressiven Spiel des Bebop-Pioniers Charlie Parkers wurzelt. Neben ihr treiben Anke Helfrich auf mit rasanten Läufen auf dem Piano, Lindy Huppertsberg mit straight gezupften Basslinien und Carola Grey mit pulsierendem Schlagzeug das schnelle Stück voran.

„Witchcraft“ sei eine Kombination von Qualitäten, zitierte BlueNite-Initiator Volker Wengert  vor dem Konzert den Duden. „Hexenkunst“ mag eine andere Bezeichnung für das sein, womit die vier Musikerinnen das Publikum begeisterten. Eigenständige Jazzerinnen sind sie allesamt: Anke Helfrich, Trägerin des Jazzpreises der Stadt Worms, Lindy Huppertsberg, die sich den Titel der „Lady Bass“ erworben hat, Carola Grey, die mit ihrem federnden Spiel das gesamte Drum-Spektrum der Post-Bebop-Ära abdeckt, und letztlich Carolyn Breuer, die in ihren Inspirationen Parker und Debussy verbindet, geschmeidig das Saxophon spielt, das auch in höchster Expressivität elegant wirkt.

Doch „Witchcraft“ steht nicht nur für kraftvollen Bebop und – wie in dem Klassiker „It Ain´t Nessecarely So“ – für swingenden Mainstream oder in der Helfrich-Komposition „You´ll See“ für groovende Marschrhythmen mit einem spannenden Dialog von akzentuiert gesetzten Bass-Akkorden und Schlagzeugfiguren in einem federnden Drum-Solo. „Witchcraft“ zieht auch mit sensiblen Balladen von zeitloser Schönheit in Bann. „Darn That Dream“ beginnt mit einem verspielten, romantisierenden Piano-Solo, leitet in singende Saxophonlinien über, „Song for Larry“ schwelgt im Wohlklang, klingt nach einem harmonisch reich verzierten Bass-Solo sowie mit Trillern und einer perlenden Single-Note-Kette dem Piano aus.

Die Dramaturgie des Konzertes ist geglückt. Das begeisterte Publikum bedankte sich für diese Mischung aus modernem swingenden Mainstream und expressivem Bebop, bluesigem Groove und soulerfüllten Balladen mit anhaltendem Applaus.

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