„Gefühl“ sagen die beiden Mädchen im Gymnasialschulalter hingerissen und verbessern sich dann mit Tränen in den Augen: „ If you believe“. Der junge Sänger auf der Bühne haucht seine Pop-Ballade ins Mikrofon, während im Hintergrund eine sangbare, schwingende Linie auf dem Sopransaxophon den Text anrührend untermalt. „Es ist ein Experiment“, meint Klaus Doldinger und versichert, dass er keine Berührungsängste habe. Sasha habe eine Art zu singen, die gut ins Konzept seiner „Passport“ passe. Und das belegt der Pop- und Rockabilly-Star beim Wormser Festival „Jazz & Joy“ durchaus nachvollziehbar. Ob im Soft-Sound oder beim kraftvoll rockenden Rhythm´n´Blues à la „Good Loving, Doldinger hat das Kunststück vollbracht, seine jazzrockende Band „Passport“ auf Sasha abzustimmen und zugleich den Sänger in sein musikalisches Konzept einzubinden. So kommt es keineswegs zu dem befürchteten Bruch, als fast 40 Minuten „Passport“, mit kraftvollen und mitreißenden Kompositionen des inzwischen 72-jährigen Saxophonisten, groovenden Rhythmusgeflechten der drei Mann starken Percussionsgruppe, gleißenden Glissandi des Gitarristen Peter O´Mara und treibenden Keyboard-Läufen des jungen Pianisten der Gast ans Mikrofon tritt.
Wer allerdings Klaus Doldinger so oft gehört und auf Sasha nicht unbedingt fixiert ist, der kann im intimen Rund des Andreasstiftes eine unglaubliche Musik hören, die schwebend und rhythmisch zugleich, Ethno und Jazz stimmig vereinte. Das Hadouk-Trio mit dem Duduk-Spieler Diedier Melherbe, dem Keyboarder Loy Ehrlich und dem Percussionisten Steve Shehan schafft mit einem umfangreichen Instrumentarium aus aller Welt erstaunliche Klangräume von exotischem Charme.
Gleiches ist zuvor schon dem Trio mit dem Bassisten Miroslav Vitous, dem Saxophonisten Knut Rössler und dem Lautenspieler Johannes Vogt gelungen. „Between the times“ spannt namensgerecht den Bogen zwischen der französischen Lautenmusik des 17. Jahrhunderts und dem Jazz der Gegenwart. Faszinierender als das Trio-Spiel erweisen sich dabei die Interaktionen von Bass und Langhalslaute, bei denen Vitous als Melodiker am Kontrabass die Melodie an Vogt weiterreicht, der ihn zuvor mit Single-Note-Trauben untermalte, und selbst mit einem Walking-Bass in die Begleitfunktion wechselt.
Das breite Spektrum dessen, was heute unter „Jazz“ rubriziert, lotet auch die Sängerin Mari Boine aus, mit Gesängen der Samen aus dem fernen Lappland. Bass, Flöte, Gitarre und Drums liefern das musikalische Fundament von Hymnik bis Rock für die Joik-Jodler der Sängerin mit der kristallklaren, schwebenden, obertonreichen und zugleich erdigen Stimme. Die kleine Sängerin tanzt zu den einprägsamen Melodien, die Folk, Jazz, Rock und Elektronik verbinden.
„You got the power“ singt Marla Glen im Refrain des Songs „Earthly Power“ „I feel free“ und den Song „Cost of freedom“ ein anderes Mal. Dazu windet sich die schlanke Frau in ihrem typischen Outfit mit Hose, weißem Hemd, Krawatte und (meist) mit Hut in den Hüften, hüpft und spingt, schreit, stöhnt, ächzt und grummelt mit der unverwechselbaren tiefen und rauen Stimme. Marla Glen lebt ihre Lieder, unterstreicht mit Gesten und Grimassen die sozialkritischen oder der Liebe und dem Frieden zugeschrieben Texte. Die Sängerin dominiert die vorzügliche Begleitband und Background-Vocals, geht souverän mit den an sich harmonisch und rhythmisch eher einfach gestrickten Blues-, Soul- sowie R&B-Kompositionen um. Unpolitisch ist die farbige, in Deutschland lebende Blues- und Pop-Sängerin ganz gewiss nicht. Doch die Klagen sind nicht larmoyant, sondern in hoffnungsvolle Lebenslust verpackt. Ihre Vitalität steckt an.
Diese kurze Auswahl aus dem 35 Bands umfassenden Programm von „Jazz & Joy“ belegt die Nöte des Jazzfans, eine Auswahl zu treffen, die dem Festival gerecht wird. So widmet er sich den ekstatischen Kollektiven und expressiven Soli des Posaunisten Christof Thewes, Träger des Wormser Jazzpreises, der mit seinen faszinierenden Bearbeitungen von Mingus-Kompositionen die Jazz-Puristen begeistert. Vielstimmige Kollektive, hymnisch, sakrale Sounds und treibende Rhythmik belegen die Qualität des zeitgenssischen deutschen Jazz. Dem Duo „Drumsfusion“ gelingt erfolgreich die Gratwanderung zwischen Orient und Okzident, zwischen Akustik und Elektronik, wobei höchstens die Percussion in Gefahr läuft, monoton zu wirken. Auf anderen Plätzen hören die Besucher Tangos inklusive Tango nuevo ds Stephan Langenberg Quartetts in reizvoller Kombination von Bandoneon und Geige, harten urbanen Blues und „Jimi´s song“ mit dem Wormser Gitarristen Bachmann oder Liebeslieder der Sängerin Laura Lopez Castro zur Gitarre. Dass bei „Jazz & Joy“ das Vergnügen ncht zu kurz kam, dafür sorgten unter anderem das Rex Richter Quintett mit einer Schlager-Revue.
„Ich verspreche, so bald wie möglich an diesen schönen Ort zurückzukommen, um mit Jasper im Duo zu spielen“, versichert der amerikanische Gitarren-Hero Larry Coryell nach der überraschenden Begegnung mit dem holländischen Keyboard-Star Jasper van´t Hof den Fans beim Abschlusskonzert des Festivals „Worms Jazz & Joy“. Die Veranstalter sollten ihn beim Wort nehmen, denn die musikalische Begegnung der beiden umjubelten Künstler wäre einmalig in der Republik.
Doch schon mit dem jetzigen Programm zum Finale des Festivals hat Stefan Traub Glanzlichter gesetzt. Scherzend, das Ambiente lobend und in bester Spiellaune steigt Coryell mit dem Blues „immer geradeaus“ in einen langen Abend ein, zeigt, dass der frühere Fusion-Elektroniker nicht nur zum Jazz, sondern auch zu dessen Wurzeln zurückgefunden hat. Bei der Up-Tempo-Komposition „Good Citizen Swallow“ reißt es den 65-Jährigen endgültig vom gemütlichen Stuhl. Dann steht er bei seinen ostinaten oder treibenden und hart angerissenen Akkordclustern breitbeinig auf der Bühne wie einst die Rock´n´Roller, doch virtuoser mit klaren Strukturen und harmonischen Effekten selbst in Hochgeschwindigkeitsläufen. Am spannendsten sind seine Ruf-Antwort-Spiele mit dem Bassisten Jeff Berlin, der sein Instrument erdig stampfend, aber ebenso gitarrengleich in Melodielinien zum Klingen bringt. Mitgerissen wird das Publikum zudem von der kraftvollen und rasenden Trommelartistik des Drummers Paul Wertico. In zwei akustischen Solo-Preziosen outet sich Coryell als kreativer und sensibler Saitenzupfer in der Tradition des legendären Wes Montgomery.
Nicht minder mitreißend hat zuvor Jasper van´t Hof mit seiner Formation „Hot Lips“ den Jazz-Fans zu frenetischem Beifall entlockt. Treibende funky Grooves prägen die Grundstimmung, der satte Bläsersatz mit dem High-Note-Trompeter Christian Kappe, dem souligen Saxophonisten Tony Lakatos und der erdig grundierenden Posaunistin Annie Whitehead den Sound. Die Kompositionen des Pianisten leben vom Kontrast der mal sphärischen, mal drivenden Klangflächen der Keyboards und den gleißenden Riffs der Bläser. Dann windet sich van´t Hof, schüttelt die rotblonde Mähne, lebt sich in rasenden Läufen voll aus. Unter all diesen Soundattacken weben Bassist Eric van der Westen und vor allem der junge, aber im Spiel reife und virtuose Moritz Müller das treibende Rhythmusgeflecht.
In grellem Kontrast zu Coryell und van´t Hof eröffnete das „Kammerflimmer Kollektiv“ das Festivalfinale. Das Trio mit dem Gitarristen Thomas Weber, der Harmonium-Küstlerin Heike Aumüller und dem Bassisten Johannes Frisch pflegt meditative Klangwelten, zart und schwebend bis hin zu experimentellen Soundcollagen. Mit folkloristisch inspirierten Gesängen, filigranen Lautmalereien, aber auch schrägen Harmonien und kratzenden Geräuschen entwickeln sich überraschende sowie faszinierende Klanglandschaften. Die Oberfläche bleibt trügerisch ruhig, doch darunter brodelt es. Das Publikum lässt sich gefangen nehmen.