Abdullah Ibrahim Trio in Rüsselsheim 12. Juli 2008

„Die Welt ist doch noch nicht verloren, wenn Menschen auf solch leise und fein gesponnene Musik so begeistert reagieren, sagt ein Zuhörer nach dem Konzert des südafrikanischen Pianisten Abdullah Ibrahim. Doch der inzwischen 74-Jährige macht es dem Publikum leicht, sich von der sanften Musik gefangen nehmen zu lassen. Er bricht mit keinen Hörgewohnheiten, verlockt vielmehr mit einer raffinierten Verbindung scheinbar schlichter folkloristischer Liedhaftigkeit, hymnischer Melodik und hypnotischer Kraft ostinater Linien. Abdullah Ibrahim schöpft in seinen Akkordgriffen und Single-Note-Läufen ebenso aus der Tradition amerikanischer Spirituals wie europäischer Romantik, lockert dieses Spiel mit Monk`scher Sperrigkeit, mit Verzögerungen und Taktverschleppungen auf und unterlegt es mit der Rhythmik des Jazz – wobei ihn Bassist Belden Bullock und Schlagzeuger George Gray sanft, sensibel und einfühlsam begleiten.

So beginnt auch das Konzert im Rüsselsheimer Theater auf Einladung des Rheingau Musikfestivals und der örtlichen „Jazzfabrik“ mit hingetupften Ketten aus Einzelnoten, sanfter Besenarbeit auf den Becken sowie im rein akustischen Trio kaum hörbaren Akkordläufen auf dem Kontrabass. Erst in den Soli kommt der Zuhörer in den Genuss der vielfarbigen Harmonievariationen, mit denen Bullock sich an das Pianospiel anschmiegt und es verziert. Mir Gray spielte Ibrahim seit vielen Jahren zusammen, was die traumhaft sicheren Einsätze erklärt, mit denen der Schlagzeuger nach einem meditativen Alleingang des Pianisten plötzlich die Musik vehement zum Swingen bringt. Die beiden Begleiter runden die dominanten Solimprovisationen Abdullah Ibrahims ab, sie fordern ihn nicht, bieten keine Reibungsflächen, die auch äußerlich spürbare Spannungen erzeugen könnten. Dass die Musik des Trios dennoch nicht langweilt, dass der Pianist, der beim Spiel die Zeit zu vergessen scheint, in einem Finale ohne Ende immer wieder mit ein paar suchend hingetupften Noten zu neuen Themen überleitet, bleibt ein Phänomen, das vor allem mit dem Charisma und der Improvisationskunst Ibrahims zu erklären ist.

Im Verlauf des Konzertes selten eingestreute freiere Akkordschichtungen auf dem Piano erinnern an die frühere Glut des Polit-Rebellen, der mit seiner Musik den Widerstand in seiner Heimat stärkte und für die Befreiung der Farbigen kämpfte. Inzwischen hat sich der 74-Jährige zum Hohepriester der Versöhnung gewandelt, der seine Musik wie ein Gottesdienst zelebriert. So pendelt er zwischen lyrischer Versenkung und gezielt eingesetzten expressiven Parts. In Rüsselsheim verging nahezu eine halbe Stunde bis der Pianist erstmalig wuchtige Akkorde in die Tasten hämmerte, um später wieder zu verspielten Notenlinien zurückzukehren. 

In der Ruhe Ibrahims lauert stets eine immanente Energie. In den Improvisationen scheint er ständig auf der Suche, tastend nach neuen Klangfarben. Nahtlos schreitet Ibrahim von einer Komposition zur nächsten, reiht so eine Improvisationskette auf, in der die vertrauten Kompositionen als ausführliche Zitate zu erkennen sind. Das Publikum ist fasziniert, feiert die Musiker stehend mit anhaltendem Applaus und fordert mit Erfolg eine Zugabe, mit der das Konzert dann fast drei Stunden dauert. Der Musiker fordert Geduld von den Fans und belohnt sie reichlich. 

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