Walter Norris solo beim K3-Konzert im KUZ,

Die Jazz-Historie ist seit dieser Woche um eine reizvolle Anekdote reicher. Walter Norris, von Kollegen als der „Pate des Klaviers“ geehrt, gesteht im Jazz-Talk mit dem Leiter des Darmstädter Jazz-Instituts, Wolfram Knauer, dass er 1977 nach Deutschland gekommen sei, um dem Zorn des gewaltigen, aber auch gewalttätigen Bassisten und Bandleader Charles Mingus zu entgehen. Norris, der damals in New York mit dem großen Neuerer der schwarzen Musik zusammenarbeitete, hatte diesen im Small-Talk „Charlie“ statt Charles genannt. Da kam der rettende Ruf aus Old Germany, den Part des Pianisten bei der SFB-Bigband zu übernehmen, gerade recht.

Erstaunlich, wie der ansonsten eher scheue und zurückhaltende Pianist im Gespräch hintergründig humorvoll über Jazz und „Playboy“ plauderte, nachdenklich darüber sprach, dass er zwar von genialen Pianisten wie Art Tatum beeinflusst wurde, nie aber wie dieser spielen wollte, sondern stets auf der Suche nach einer eigenen neuen Ausdrucksweise auf dem Klavier war. Dabei verband er eindrucksvoll europäische Romantik und Impressionismus mit progressivem Jazz von Cool bis Free. 

Wie er sich zu einem eigenständigen Protagonisten eines abstrakten, aber klassisch fundierten Klavierjazz entwickelte, konnten die Zuhörer beim Konzert des K3-Kulturkanals Rheinland-Pfalz im Mainzer Kulturzentrum (KUZ) nachvollziehen. „My Funny Valentine“, eine vergleichsweise minimalistische Komposition aus der Feder von Richard Rogers, leitet Norris lyrisch verträumt mit ein paar Akkordgriffen ein, lauscht ihnen nach und sucht nach neuen harmonischen Variationen, die die Melodie zerlegen und wieder zusammenfügen.

Der Pianist scheint hin und wieder ins Instrument hineinkriechen zu wollen, dann wiederum lehnt er sich bei gewaltigen Akkordschichtungen offensichtlich zufrieden weit zurück, den Kopf nach oben gereckt, die Augen geschlossen. Sein Anschlag ist in den verspielten Single-Note-Linien fast zärtlich, hart wiederum in den High-Note-Akzenten, mit denen er seine Solo-Improvisationen gerne abschließt. Doch selbst in den kraftvollen Tonkaskaden bleibt sein Spiel ungewöhnlich fein differenziert.

Der rechte Fuß klopft den Takt auf dem hölzernen Bühnenboden, wenn er nicht gerade zur Pedalarbeit gebraucht wird. Ein durchgehendes Metrum pulsiert nur im Untergrund, das hörbare Spiel setzt sich darüber hinweg. In der Art der Stride- Pianisten wechselt die linke Hand zwischen Bass und Akkord, dann wiederum greift Norris über Kreuz, kehrt die Funktion von Bass- und Melodieführung am.

Eines der Glanzstücke an diesem Abend ist seine Interpretation des „Tiger Rag“, mit rasenden Läufen über den Bass-Ostinati, kurzen verzögernden Einschüben und treibenden percussiven Melodiefortschreitungen. Die Komposition von Nick LaRoca verwandelt sich in eine kinderliedhafte Humoreske.

Der 74-Jährige sei eines der bestgehüteten Geheimnisse des Jazz, hatte einleitend K3-Geschäftsführer Rolf Zitzlsperger gewitzelt. Darin steckt ein Körnchen Wahrheit. Der technisch brillante und stilistisch eigenständige Musiker war ein begehrter Begleiter der berühmteren Kollegen, aber nie ein großer Publikumsliebling. Das Konzert in Mainz belegt, was die Jazzfans da versäumt haben.

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