STUTTGART. Und man siehet die im Lichte, den im Dunkeln sieht man nicht… oder nur sehr dürftig. Der Bandleader degradiert sich optisch zur Backgroundfigur, von seinen Mitspielern akustisch durch Plexiglasscheiben getrennt. Ein Ohrenleiden zwingt seit mehreren Jahren Charlie Haden zu derlei „live“-Maßnahmen.
Auch auf der Bühne vom Stuttgarter Beethovensaal postierte sich der Bassist mehrere Meter weit von seiner „front line“ entfernt. Zu mehr oder weniger stagnierenden Einzelspielen geriet nun die Musik seines bekannten „Quartet West“. Nachdem Charlie Haden (Jahrgang 1937) mit seinem „Liberation Music Orchestra“ im Avantgarde Jazz einst revolutionäre Töne angeschlagen hatte, fand er in den Schoß der Tradition und des sanften und besänftigenden Wohlklangs zurück.
Coleman oder Calypso – ohrenfreundlich gab sich der postmoderne Schmusesound allemal. Schöne Melodielinien ließ Haden in unbegleiteten Soli auf seinem Kontrabass brummen – alles ohne virtuose Zauberkunststückchen, aber mit schlichter Schönheit. Eher introvertiert ging zudem noch Larance Marable am Drumset vor: subtile Obertonschwingungen mit dem HiHat, saubere Besenarbeit auf den Fellen. Gag-Klischee am Rande, als Bandleader Haden nach vorne kam und sich auf dem Plexiglas als penibler Scheibenwischer betätigte. Technisch versiert und rational bestens kontrolliert agierte Pianist Alan Broadbent. Die größte Action des Quartetts entfachte bei dem nostalgischen Balladen-Reigen der im Jazz-Rock-Metier bewährte Tenorsaxofonist Ernie Watts. Alles vorgeplant freilich gleichfalls bei ihm: der hot intonierte Sound, die Mehrklänge, die Flageolettpiepser.
Räumlich und in der Interaktion waren sich demgegenüber die vier Instrumentalisten der „John Scofield Group“ viel näher. Scofield (48) wurde als agiler Sideman von Miles Davis berühmt, und der E-Gitarrist mit Halbglatze und intellektuell-asketischem Habitus richtet seit jeher den stilistischen Blick nach vorn. Vom orthodoxen Jazzweg abgekommen ist er dabei nicht, wie manche Beobachter argwöhnen.
Mit seinem jungen Quartett vollführt Scofield nunmehr eine zeitlose Jazzmusik, ein flexibles und organisches Miteinander. Der Saxofonist Seamus Blake, der Bassist Jesse Murphy und der Schlagzeuger Ben Perowsky gereichen da eher zu hilfsbereit dienende Randfiguren. Die wesentlichen Impulse gehen von dem gewitzten Scofield aus, der in artistischer Brillanz seine elektrische Gitarre fingerflink traktiert und ihr zuweilen auch orgelartige Klänge entlockt. Sein komplexes Spiel dominiert die Musik, trotzdem werden auch ausgiebig lyrische Momente einbezogen.
In alten Südfunk-Zeiten sorgten die „Treffpunkt Jazz“-Veranstaltungen in Stuttgart für ein swingendes Konzert-Kontinuum. Die „Jazznights“, das von der Hamburger Konzertdirektion Karsten Jahnke bundesweit organisierte „Tournee-Theater“, haben in ihrer zweiten Spielzeit ihr treues Publikum erhalten und gefunden. Schließlich braucht man nicht nur in der baden-württembergischen Landeshauptstadt die unabdingbaren Verbindungselementen zwischen der lokalen Clubszene und groß inszenierten Festivals. Als weitere Stars der gegenwärtigen „Jazznights“-Saison stehen Brad Mehldau, Bill Frisell, Benny Green, Roy Hargrove sowie Sonny Rollins auf dem Programm. Das „Lincoln Center Jazz Orchestra“ des Trompeters Wynton Marsalis macht allerdings nicht in Stuttgart Station, da es bereits bei den letztjährigen JazzOpen gastierte.