Stuttgart – Der musikalische Weltbürger Charlie Mariano bürgt stets für Qualität, wenn es um eine stimmige Fusion zwischen Jazz und asiatischen Kulturen geht. Der 1923 in Boston geborene Saxophonist hat die Verbindung zu dem südindischen Mridangam-Trommler T.A.S. Mani und dessen vokalakrobatischer Ehefrau Ramamani nie abbrechen lassen. In seinem Quintett „Bangalore“ dominierten nun die reizvollen rhythmisch-melodischen Dialoge zwischen dem Altsaxophonisten und der Sängerin das Geschehen – Jazz, Ethno und Rock erlangten so im zweiten Abend der 15. Internationalen Theaterhaus-Jazztage eine Einheit mit einer individuellen Aussage.
Mit „Oriental Sounds“ war dieser Abend des Stuttgarter Festivals betitelt, und Arabisches in Reinkultur hatte zuvor die in Frankreich lebende marokkanische Vokalistin Sapho offeriert. Für mitteleuropäischen Ohren wirkten ihre von der Ägypterin Dum Kalsoom übernommenen und von einem Instrumentaltrio begleiteten dramatischen Klagelieder von Liebe und Leid doch zu langatmig – mehr Verständnis dafür konnten die im Publikum befindlichen Angehörigen der Maghreb-Staaten aufbringen. Impulse für den Jazz gab diese Darbietung kaum – ganz anders verhielt es sich beispielsweise mit einer vor über dreißig Jahren erschienenen LP, auf der verschiedene Formationen „The Jazz Soul of Cleopatra“ beswingten.
Als Exotikum bei einer bei einer Jazz-Fete muß auch Juliette Gréco gelten. Immerhin verdankten die Theaterhaus-Jazztage der „Muse des Existenzialismus“ bei der TV-Sendung „Tagesthemen“ eine millionenfache Beachtung. Da stellte sich die 72jährige Chanteuse bereitwillig einem Interview, doch beim Konzert wurde auf Gesuch der alten Dame ein absolutes Nah-Fotografierverbot verhängt – eine offensichtliche Einschränkung der „ungeschminkten“ Presse-Bild-Freiheit. Im schwarzen Seidensamtkleid macht die anspruchsvolle Entertainerin nach wie vor eine gute und grazile Figur, intensiv läßt sie ihre Hände sprechen. Bewundernswert ist, daß die gerne in sonoren Tiefen agierende Künstlerin bei ihrer weit über eine Stunde währenden Performance stets konzentriert am Mikrofonständer steht und es nicht nötig hat, eine eventuell trockene Kehle mit einem Schluck Wasser zu benetzen. Etliche Hits von Edith Piaf, Jacques Brel und Serge Gainsbourg interpretierte Madame Gréco auf eindringliche Weise – und das fachkundige Auditorium erkannte in der Prevert/Kosma-Ballade „Le Feuilles Mortes“ den modernen Jazz-Evergreen „Autumn Leaves“.
Wie bei den beiden Sängerinnen blieb auch beim „Raschèr Saxophone Quartet“ improvisatorische Kreativität außen vor. Bereits als Sigurd Rascher sein Ensemble mit den eigentlich typischen Jazzinstrumenten leitete, versprühten die metallenen Rohrblattblasinstrumente die Keuschheit eines Blockflötenspielkreises – nun wird von Tochter Carina der behutsame Sound fortgeführt. So brachte auch die Welturaufführung „Quaterna“ des amerikanischen Komponisten Arthur Levering keine grundsätzlichen Neuerungen. Am Anfang zwar ein paar jazzidiomatische Phrasen des Tenorsaxophons (Bruce Weinberger), bis im 2. Satz Carina Raschèr mit ihrem gebogenen Sopran die Solistenrolle übernahm. Homogenes und Kontrapunktik, Klangflächen und Zwölftontechnik bestimmen das Werk. Andere Kompositionen stammten von Yannis Xenakis, Sidney Corbett und Philip Glass, der in seinem „Concerto for 4 Saxophones“ intervallisch Sekunden-Kleinigkeiten als Konstante barg.
Meditatives zunächst auch beim Sonntagskonzert „Global total“. Tenorsaxophonist Pharoah Sanders, bekannt geworden als besonders hymnisch mit Multiklängen agierender Partner von John Coltrane, ließ sich jetzt auf eine arabische Liaison ein. Die beiden algerischen Brüder Chouki Smahi (Oud-Laute) und Yahia Smahi (Rahmentrommel) befreien die metrisch, rhythmisch und von den Tonabständen her so komplexe arabische Musik vom Diktat der Homophonie, wenn sie europäische Elemente von kontrapunktischer Reaktion und polyphoner Linienführung einbringen. So hatte der 58jährige Pharoah Sanders bei den afroamerikanisch-arabischen Dialogen keine Integrationsprobleme: ein beseeltes Kommunizieren – oft auf der phrygischen Skala, was einem nicht unbedingt gleich als flamenco-spanisch vorkommen mußte.
Der französische Ausnahmebassist Renaud Garcia-Fons nennt sein neues Septett „Oriental Bass Band“. Dynamisch akzentuiert sind die gewitzten Arrangements fürwahr. Da finden sich nordafrikanische Folklore (mit Rabah Khalfa an Darbouka und Tambourin), spanische Habanera, mittelalterliche Madrigale und an Gil Evans erinnernde Klangzaubereien zu einer Symbiose. Faszinierend, wie Garcia-Fons auf seinem Kontrabaß zupfend, schlagend und streichend die orientalische Mikrotonalität nachempfindet.
Aus Nahost-Quellen labt sich zudem das in der Schweiz beheimatete Quintett „Kol Simcha“: jüdische Klezmer-Tradition mit Offenheit zur Zeitgenössischen Musik. Michael Heitzler ordnete sich dem Gruppengeist unter und blies seine Klarinette weniger virtuos und expressiv als der Übervater Giora Feidman.