Victoria Tolstoy in Mainz, Frankfurter Hof, 31. Oktober 2006

Seit gut zehn Jahren singt Victoria Tolstoy in den Grenzgefilden von Pop, Folklore und Jazz. So hat die goldblonde Schwedin auch keine Scheu, ihr Konzert im Frankfurter mit „Strollin“ von Prince zu eröffnen, bevor sie zu einer sanften Ballade „Woman of Santiago“ wechselt. Oder sie wagt sich an ein kraftvoll schnelles Thema wie Van Morissons „The Way Young Lovers“. Jacob Karlzon, der in diesen zwei Stunden für eine mitreißende Jazzgrundierung sorgt, hat Pop- und Folksongs, Jazzstandards sowie Eigenkompositionen der Sängerin auf den Leib arrangiert: Mal balladesk, mal up-tempo, aber keine Jazz-Stimmakrobatik, sondern gefällige Lieder, in denen Victoria Tolstoy ihre vokalen Möglichkeiten auskostet: Sie haucht und schnurrt, wechselt raffiniert vom tragenden Alt in ein naiv gehauchtes oder verrucht brüchiges Kieksen, oder endet den Song mit einem anhaltenden Jubel in den hohen Lagen. Immer aber dehnt sie die Silben in leicht variierten Tonhöhen, mal mit, mal ohne Vibrato und schmiert angedeutete Blue-Notes wie in „Absentee“. Im Frankfurter Hof steht Victoria Tolstoy eineinhalb Jahre nach ihrem letzten Besuch erneut in farbiges Licht getaucht auf der Bühne, tänzelt während der instrumentalen Parts, schreit kontrolliert auf, wechselt in geschickter Dramaturgie zwischen Aufbegehren und Demut.

Ihre in der Kraft begrenzten Sangeskünste werden unterstrichen und ausgefüllt durch ein exzellentes Trio. Peter Danemo ist ein zurückhaltender und dienlicher Schlagzeuger, der einmal am Abend im Solo beweisen darf, das er über einem stupend durchlaufenden Beat polyrhythmisch trommeln kann. Bassist Hans Andersson lässt sein Instrument in der Begleitung straight marschieren, nimmt dann aber in seinen Soli mit ausgedehnten melodischen Linien, die er harmonisch reizvoll verziert, gefangen.

Victoria Tolstoys große Stütze ist indessen Jacob Karlzon an Piano, Keyboards und mit Laptop-Synthesizer. Vertrackte Rhythmen und Gegenläufigkeiten hämmert er mit Akkord-Clustern in die Tasten, spielte rasende Notenketten mit der rechten Hand zu ostinaten Bassfiguren der linken. Ein andermal tupft er verträumte, zarte Single-Notes an. Elektronisch erzeugt Krlzon schwebende Sounds von nordischer Kühle, in die er Glöckchenklang auf den Keybords streut, unterlegt einen sich stetig wiederholenden Grundrhythmus und tut dann doch mit einer bombastischen Soundfläche ein bisschen zu viel des Guten. Dies reißt er mit verspielten Romantizismen im späteren „Green Little Butterfly“ wieder heraus und das Publikum ist völlig hingerissen, als die Sängerin mit dem melodisch gefälligen „Love Is Real“ das Konzert beschließen will. Mit stehenden Ovationen fordern die Fans Zugaben, die ihnen der charmante Gast aus Skandinavien auch gewährt.

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