Sammy Nestico und SWR-Big Band im Frankfurter Hof in Mainz, 7. Mai 2005

Im Jazz zählt nicht die Anzahl der Noten, sondern der Geist, der dahinter steckt. Der Meister hebt kaum sichtbar den Finger und schon zischt die Rhythmusgruppe ab. Dann mischt sich der Pianist mit seinen unnachahmlichen Pling-Plings, den wenigen hingetupften Noten im Diskant, ein und legt damit den Grundstein für ein gewaltiges Tutti, in dem gleißendes Blech auf eher moll-warmen Saxophonsound trifft. Schneidend bündeln sich die Bläser und fahren mit Wucht auf die Zuhörer nieder. Dieser ebenso spannungsgeladene, dynamisch aggressive wie zugleich lässig entspannte Swing war das Kennzeichen von Count Basie und damit zugleich der unüberhörbare Hinweis auf Sammy Nestico, der wie kein anderer nach Neal Hefti als Arrangeur den Klang des Basie-Orchesters bestimmte.
Jetzt war Nestico mit der SWR Big Band in Mainz und beim Konzert im Frankfurter Hof wurden Erinnerungen an Count Basie wach. 

Noch immer dieser zupackende Swing und immer wieder die sparsam eingeworfenen Single-Notes vom Flügel, an dem in der Rundfunk-Band Klaus Wagenleiter sitzt. Er führt die Band allerdings nicht wie der legendäre Count. Für die präzise Satzarbeit und die vehement swingende Rhythmusgruppe zeichnet der inzwischen 81-jährige Nestico verantwortlich. Die allesamt vorzüglichen Musiker reagieren auf sein Fingerschnippen, die wenigen Bewegungen mit dem Kopf und den Händen des Arrangeurs, der es sich leisten kann, an der Seite zu stehen und die Stücke mit sichtlichem Vergnügen begleitend zu genießen.

Bereits der 1984 verstorbene Count Basie lobte Nesticos Sinn für das Zeitgemäße und Moderne. Das kommt der SWR Big Band und dem Konzert zugute. Nicht im geringsten angestaubt oder gar museal wirkt der Basie-Nestico-Swing, der da mit sattem Sound von der Bühne strömt. „88 Basie Street“, 1983 aufgenommen undvon Nestico arrangiert, ist inzwischen zu einer Art Nachruf auf den Count geworden. Das Stück mit dem einleitenden Piano-Solo und der Rhythmusgruppe, den gedämpften Tutti der Bläsersätze, den flirrenden Flöten vor den gestopften Posaunen und Trompeten war in Mainz als erste Zugabe zu hören und riss die Zuhörer zu stehenden Ovationen hin. 

Vorausgegangen waren bekannte Kompositionen wie „Sweet Georgia Brown“, das aufgefrischte „Satin Doll“ mit den lockeren Piano-Breaks, dem gefühlvollen Flügelhorn-Solo Don Raders und den growlenden Bläsern, das balladeske „Samantha“ mit dem vibratoreichen Solo des Altsaxophonisten Klaus Graf, „Wind Machine“ mit den Stakkato-Zwiegesprächen der beiden Saxophonisten Andi Maile und Axel Kühn in bester Bebop-Phrasierung sowie die Kompositionen „High Five“ und „How Sweet It Is“, in denen neben den Bläser-Soli Bassist Decibal Badila seinen Bass so wundervoll erdig im Klang straight marschieren lässt. 

Zwischen den Stücken erweist sich der Senior aus San Diego als ein amüsanter Plauderer, wenn er etwa aus seiner Zeit als Leiter des Orchesters im Weißen Haus unter den Präsidenten Kennedy und Carter erzählt – von Carter, der ihn fragte, ob Nestico diesen Jazz wirklich als Musik bezeichne oder als das Orchester gerade in jenem Moment „The Lady Is A Tramp“ spielte, als die britische Königin in den Saal des Weißen Hauses einzog.

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