Review: Florian Ross – Jazz Composer’s Companion

Florian Ross - Jazz Composer's Companion - Titel

Florian Ross schreibt aus der Perspektive eines reflektierten und selbstbewussten Komponisten und Pianisten mit langjähriger Erfahrung, der auf einen reichhaltigen praktischen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Sein Buch Composer’s Companion ist mehr als ein bloßes Lehrbuch zur Komposition – es vermittelt Einblicke in die Denkweise eines professionellen Komponisten und ist gespickt mit praktischen Tipps, humorvollen Analogien und tiefgehenden Reflexionen zur Kunst des Komponierens.

Praxisnähe und Struktur

Ein besonderer Reiz des Buches liegt in seiner praxisnahen Herangehensweise. Ross nennt zahlreiche sogenannte „Time Savers“, also Tipps, die Komponisten Zeit und Mühe sparen können. Diese untermalt er mit originellen und bildhaften Vergleichen, die oft aus der Alltagswelt stammen und nicht immer direkt mit Musik zu tun haben.

Die „Basics“ werden nicht ausgelassen: Angefangen bei der Auswahl des Notenpapiers (inklusive der Unterschiede zwischen Deutschland und den USA) über die Wahl der Bleistiftstärke und des richtigen Anspitzers bis hin zu modernen Computerprogrammen für Komposition und Notation. Ross erweist sich dabei als IT-affiner Autor, der sich intensiv mit digitalen Hilfsmitteln auseinandersetzt – allerdings aus einer Perspektive, die sich erkennbar aus seiner eigenen „Sozialisierung“ in der EDV entwickelt hat. Seine Empfehlung, Shortcuts intensiv zu nutzen, richtet sich vermutlich eher an eine wissende Generation, die Computer noch ohne Maus kennengelernt hat.

Philosophie und Ethik des Komponierens

Ein durchgängiges Leitmotiv des Buches ist Ross‘ Haltung zur Rolle und Ethik des Komponisten. Seine Überzeugung, dass Präzision und Disziplin essenzielle Bestandteile des kreativen Prozesses sind, spiegelt sich in Zitaten wie:

  • „As composers we need to get into the habit of being precise all the time! When we’re listening to other people’s music, when we’re writing down chord symbols, but especially when we’re notating our own ideas and musical thoughts.”
  • „Underestimating the effort required to become a fully-fledged composer… prevents one from growing.”

Er betont zudem, dass jeder Komponist sich zunächst klar machen muss, wohin er möchte: „I see myself as the person who can help you reach your goal – provided you ask yourself where you want to go.”

Humorvolle Betrachtungen und anschauliche Vergleiche

Ross gelingt es, komplexe Themen humorvoll zu vermitteln. Beispielsweise stellt er die Erwartungen eines Komponisten an eine Notationssoftware den realen Möglichkeiten solcher Programme gegenüber – mit amüsanten Ergebnissen. Auch seine Unterscheidung zwischen „being stuck“ und „being lost“ im Kompositionsprozess ist eine wertvolle und anschauliche Metapher.

Im Kapitel The New Process  beschreibt er generelle Arbeitsprozesse und zeigt, wie kreative Ideen aufbewahrt und weiterentwickelt werden können. Hier beschreibt er den Unterschied zwischen Jazzmusikern, die gefundene Ideen spontan in eine Skulptur = Improvisation verwandeln, und Komponisten, die sie sammeln und in spätere Werke integrieren.

Hörerperspektive und Zeitverständnis

Nicht nur Komponisten, sondern auch Musikhörer profitieren von Ross‘ Buch. In seinem Kapitel über „Listener’s Attention“ unterscheidet er zwischen „music time“ und „real time“ – eine Erkenntnis, die das Verständnis für musikalische Strukturen vertiefen kann. Dass er den Musikgenuss mit Hundetraining vergleicht, mag ungewöhnlich erscheinen, zeigt aber erneut seine Fähigkeit, komplexe Sachverhalte anschaulich darzustellen.

Musikalische Beispiele und Kompositionsmethoden

Ross verweist auch auf eigene Werke, wie Pretty Thing, 5 Freunde aus Home & Some Other Places oder Albatross von Swallows & Swans. Diese Beispiele dienen nicht nur der Illustration seiner Techniken, sondern ermöglichen auch einen Blick hinter die Kulissen seines kreativen Prozesses. Besonders hervorzuheben ist seine Fähigkeit, die Struktur seiner Kompositionen transparent zu machen und dem Leser einen „Röntgenblick“ in seine musikalischen Überlegungen zu gewähren.

Strukturierte Arbeitsmethoden und Architekturanalogien

Ross plädiert sowohl für ein planvolles Vorgehen beim Komponieren, wie auch Experimentierlust, wenn er betont: „There are almost endless ways to combine systems; go ahead and experiment! Don’t forget to let your ear decide what sounds good to you and what doesn’t. You won’t be getting a medal for great ideas, just for great music.”  Diese Haltung zieht sich durch das gesamte Werk und wird mit zahlreichen Beispielen illustriert.

Interessant ist seine Analogie zur Architektur: So wie ein Gebäude nicht einfach aus interessanten Einzelteilen bestehen kann, sondern eine durchdachte Gesamtstruktur benötigt, muss auch eine Komposition mehr sein als die Summe faszinierender Einzeltechniken. Diese Idee zieht sich bis in das Kapitel über „Techniques for Construction vs. Techniques for Listening“, in dem er unter anderem vorschlägt, Telefonnummern in musikalische Intervalle zu übersetzen.

Kritische Reflexion und Zukunftsperspektiven

Ross äußert sich kritisch zur Idee der „Inspiration“ als treibende Kraft im kreativen Prozess. Er argumentiert, dass die „Großen“ der Musikgeschichte nicht durch besondere Eingebung, sondern durch tiefes Verständnis für Harmonie, Melodie und Rhythmus erfolgreich wurden: „I soon realized that their greatness springs not from being more inspired than me, but because they have a comprehensive (though not necessarily academic) understanding of harmony, melody and rhythm.”

In diesem Zusammenhang könnte man diskutieren, inwieweit künstliche Intelligenz die Prinzipien des Komponierens beeinflussen wird. Ross‘ Fokus auf Handwerk und Tradition könnte durch technologische Entwicklungen in den kommenden Jahren sowohl erheblich herausgefordert als auch gefördert werden.

Fazit

Composer’s Companion ist kein trockenes Lehrbuch – es ist tatsächlich ein Begleiter, den man immer wieder mit Gewinn zur Hand nimmt und zugleich eine tiefgehende Reflexion über das Komponieren als Kunstform. Florian Ross verbindet theoretisches Wissen mit praktischen Tipps, humorvollen Analogien und fundierten musikalischen Beispielen. Trotz des spezifischen Fokus auf Jazz ist das Buch gewiss auch für Komponisten anderer Sparten und allgemein Musikinteressierte von großem Wert. Sein prägnanter, humorvoller Stil und die anschaulichen Vergleiche machen es zu einer kurzweiligen und lehrreichen Lektüre. Wer sich für Musikkomposition interessiert, erhält hier nicht nur wertvolle Einsichten, sondern auch eine inspirierende Begleitung auf dem eigenen kreativen Weg.

Sprache: Englisch, fadengeheftet, Format: 23 x 30,5 cm, flexibler Einband, € 32,90.

| AMA Verlag
| Florian Ross Website

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