Auf seiner Visitenkarte bezeichnet er sich mit Understatement schlicht als „Composer, Writer, Clarinettist, Saxophonist“. Paquito D´Rivera ist all dieses und doch mehr als die Summe der vier Worte. Seine Musik ist unverwechselbar – ganz gleich, ob er nun eigenem Quintett, einer Big-Band oder einem Klassik-Orchester spielt.
„Cubop“ ist das Schlüsselwort für diese Ausprägung des Jazz. Jene Mischung aus Post-Bebop und afro-karibischer Rhythmik mit der Grundlage der klassischen Ausbildung. D´Rivera hat dem Cuban Bop seinen unverwechselbaren Ton gegeben. Auf der für ihn gebauten Rosenholz-Klarinette steigt er mühelos mit intensivem Kantilenenton in die höchsten Lagen, schwelgt in weit geschwungenen Melodielinien. Aber er pflegt auch den singenden coolen Balladenton auf seinem Alt-, die heißen Bebop-Sheets auf dem Sopran-Saxophon. Bei all diesem solistischen Ausflügen trotzt der 1948 in Kuba geborene Künstler den komplexen und komplizierten Arrangements mit einer stets leichtfüßig wirkenden Eleganz des Spiel, die auch den skurrilen Humor seines großen Vorbildes und Gönners Dizzy Gillespie aufgenommen hat.
In der NDR-Big Band unter der Leitung des souveränen Dieter Galwischnig hat der „Jazzer aus Kuba“ einen kongenialen Partner gefunden. Nach nur vier Tagen Probe in Hamburg und einem Konzert in Salzau verschmilzt sie in dem Konzert des Rheingau-Musik-Festivals und der Rüsselsheimer Jazz-Fabrik mit dem Solisten zu einem homogenen Klangkörper, in den sich die zahlreichen Solo-Improvisationen nahtlos einfügen. „La Procesión“ von Pablo Ablanedo ist ein langsames, getragenes Thema, das von einen lyrisch geblasenen Solo auf dem Sopransaxophon eingeleitet wird, zu einem Ruf-Antwort-Spiel mit der Bassklarinette findet und in einen gepresst klingenden gestopften Trompetensatz mündet. Klaus Stötter bläst ein lang ausschwingendes, dunkel timbriertes Solo auf dem Flügelhorn, Peter Bolte begibt sich mit heiß überblasenen Stakkati auf dem Altsaxxophon in Free-Gefilde und Fiete Felsch verbindet melodiös fließende Linien mit überblasenem Crescendo auf der Flöte.
Das äußerst komplexe „Concierto Pa´Quito“ aus der Feder von Michael Mossman führt zusammen, was die Musik D´Riveras kennzeichnet: die Klassik in der Intro mit Klarinette und romantisierender Piano-Begleitung, der Übergang zum satten Big-Band-Sound mit Latin-Ryhthmik, ein jazzig-groovendes Bass-Solo von Oscar Stagnaro, die percussiven Zwischenspiele mit Marcio Doctor und Mark Walker, ein melodischer Flötensatz sowie das Gitarrensolo von Stephan Diez mit schnellen Glissando-Läufen. Seine souverän beherrschte Zirkularatmung stellt D´Rivera in lang anhaltenden Tönen der weit gespannten liedhaften Melodiebögen in dem seinem Sohn gewidmeten Bolero „Song for my son“ unter Beweis. Eine Bossa „One for Tom“ widmet der Kubaner dem Brasilianer Antonio Carlos Jobim, in der die helle Klarheit und schwebende Leichtigkeit des Klarinettenspiels besonders zur Geltung kommt – und in der auch die Big Band trotz ihres geballten Sound fast schwerelos wirkt.
Unbestreitbar einer der Konzerthöhepunkte in Rüsselsheim war die D´Rivera-Komposition „Lorenzo´s wings“ mit dem viel beklatschten, ausgedehnten Drum-Battle des Percussionisten und des Schlagzeugers nach einem bezaubernden, perlenden Piano-Solo von Dario Eskenazi und einem swingenden Full-Band-Part mit mitreißenden gegenläufigen Rhythmen. Das Publikum im ausverkauften Stadttheater bedankte sich mit stehenden Ovationen.