P.A.F. bei der Rüsselsheimer Jazzfabrik, 19. Oktober 2006

Diese drei Musiker waren noch nie auf einen Stil festzulegen. Ein Trompeter, ein Pianist und Akkordeonist sowie ein Bassist versuchen eine verwegene Symbiose aus Tradition und Avantgarde. „Morph“ nannten Paolo Fresu, Antonello Salis und Furio di Castri bezeichnenderweise ihre erste CD, denn wie beim Morphing verwandelt sich die sardische Volksmusik in frei improvisierten Jazz. Er wolle in der Musik nicht die ursprüngliche Seite Sardiniens zeigen, sondern nachspüren, was heute noch relevant und aktuell ist, sagt Fresu, der 1961 in Sardinien geboren wurde. Gleiches gilt für den elf Jahre älteren Antonello Salis, der zwischen rasenden Bebop-Läufen und freien Clustern auf dem Piano sowie schwelgender Folklore auf dem Akkordeon pendelt. Straight spielt Furio di Castri den Kontrabass, zupft fingerfertig wie ein Gitarrist in den Soli aber lang gezogene Melodielinien mit zahlreichen harmonischen Wendungen. 

Die Verbindung von Folkore und Jazz ist nur eine Facette des kurzweiligen und humorgetränkten Spiels von P.A.F. beim Konzert der Rüsselsheimer Jazzfabrik. In ausgefallenen und überraschenden Kreationen sucht das Trio multimediale Verbindungen von Musik mit Tanz und Theater. Fresu und Castri zerreißen rhythmisch Zeitungspapier, während Salis Akkordberge auf den Tasten des Pianos schichtet. Manches weckt Erinnerungen an Spike Jones und seine Persiflagen auf die Klassik. Aus einem chaotisch klingenden Crescento schält sich ein schneller Bebop-Lauf heraus, Musette-Seligkeit schleicht sich in den Vordergrund, wird von einigen warmen Flügelhorn-Sequenzen abgerundet, aber gleich wieder durch elektronische Verfremdungen zerstört. Schließlich machen sich die Drei über Jacques Offenbachs Ouvertüre zu „Hoffmanns Erzählungen“ her, interpretieren Operetten-Romantik als Vokalisten-Kampf gurgelnder Statthalter von Wein und Bier. „Not Spain“ wirft Castri ein, als Fresu eine Phrase aus Rodrigues „Concerto Of Aranjuez“ anstimmt. Selbst Beethoven bleibt nicht verschont.

Angekündigt hatte sich ein solcher Ausflug schon beim Opener des Konzertabends „Knock Out“, als die drei Musiker mit Knalleffekten auf dem Korpus des Kontrabasses, auf einem Metallkoffer oder mit dem umstürzenden Klavierhocker zu einem perlenden Pianolauf, einem Stakkato auf dem Flügelhorn und einem gradlinigen Basslauf überleiteten. Ursprünge bei Miles Davis und Chet Baker lassen sich im Spiel Fresus auf dem gestopften Flügelhorn und der Trompete nicht verleugnen. „Stratotrumpet Blues“ ist der kennzeichnende Titel einer Komposition, denn Fresu verfremdet den Ton seiner beiden Instrumente, hält mit Zirkularatmung und Elektronik einen Ton endlos lange in der Schwebe, während Castri auf dem Bass mit Stöckchen rhythmische Ostinati unterlegt. In einem ausgedehnten Solo hämmert Salis seine Akkordattacken mit den Handkanten in die Tasten, greift in die Saiten, reißt sie metallisch an und zeigt eine Vorliebe für das Spiel mit raschelnden Plastiktüten – im Piano ebenso wie vor dem Akkordeon. 

Mit einem schwelgendem Akkordeon-Spiel, melodischen Bass-Läufen und einer strahlenden Trompete sowie einem sanft verklingendem, getragenen und schwebendem Trio-Sound klingt das Konzert im nüchternen Ambiente der alten Opel-Werkshalle rein akustisch aus. 

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