Alle Photos (hier Wolfgang und Florian Dauner) auf dieser Seite: Hans Kumpf
Zum Schluss triumphierten die Jazzopen-Macher in einer Presseerklärung: „Mehr als 50 Acts bevölkerten die Festivalbühnen der diesjährigen Jazzopen.
Der singende Trompeter
Über 14.000 Zuschauer steuerten während des zehntägigen Festivals die fünf Bühnen der Jazzopen Stuttgart 2010 am Mercedes-Benz-Museum, in der Porsche-Arena, im BIX Jazzclub, im Circus Calibastra und in der Musikhochschule Stuttgart an“. Freilich: Auch heuer wurden die großen Massen mit Nicht-Jazz angelockt, zum Start „Earth, Wind & Fire“ und ebenfalls in der zwischen Schleyer-Halle und dem altbenannten Neckarstadion hineingesetzten (überdachten) Porsche-Arena der Engländer Mike Batt mit den Stuttgarter Philharmonikern und Schmuse-Pop.
Curtis Stiger
Als Solisten aufgetrieben wurden Katie Melua, Curtis Stigers, Anna Maria Kaufmann und der auch singende Trompeter, der noch Johann Sebastian Bachs „Air“ rührselig verjazzte. Im Prinzip ist es eine gute Sache, wenn auf den Hauptbühnen noch junge (und kostengünstige) Bands aus Baden-Württemberg („Playground BW“) eine Chance geboten bekommen. Doch diese spielten weitgehend vor leeren Reihen.
Nachdem die Landesbank Baden-Württemberg sich als Global Player mächtig verzockt hatte, konnte nun als Hauptsponsor die bodenständige SparDa-Bank gewonnen werden, die sich zuvor mit der „German Jazz Trophy“ einen swingenden Namen gemacht hatte.
Wolfgang Dauner
Seit einem Vierteljahrhundert wird Wolfgang Dauner zu seinen mehr oder weniger runden Geburtstagen öffentlich geehrt. Am 30. Dezember 2010 begeht Stuttgarts bedeutendster Jazzer sein 75. Wiegenfest. Die Jazzopen widmeten dem alsbaldigen Jubilar vorab einen ganzen Abend auf der ausverkauften Freilichtbühne des Mercedes-Benz-Museums. Mit dem Pianisten feierten musizierend Freunde seiner Altersklasse und der agile Nachwuchs – auch sein ganz eigener, nämlich Sohn Florian am Schlagzeug. Freilich: Ein ganz enger Weggenosse Dauners musste allerdings fehlen – der vor fünf Jahren verstorbene Posaunist Albert Mangelsdorff.
Wolfgang Dauner versuchte schon als siebenjähriger Knirps auf dem Klavier seiner Tante bei Ragtime-Schallplatten, die er auf dem Grammophon abspielen ließ, mitzuklimpern. Doch eine Profi-Musiker-Laufbahn war damit noch nicht vorgezeichnet. Wolfgang Dauner machte zunächst eine „solide“ Mechanikerlehre durch (wovon später der Synthesizer-Spezialist profitieren sollte). An der Stuttgarter Musikhochschule gab er ein kurzes Gastspiel – das musikalische Know-how eignete sich Dauner vorwiegend autodidaktisch an. Stationen zu Beginn von Wolfgang Dauners Karriere als Pianist waren die Teilnahmen 1957 beim Düsseldorfer Amateur Jazz-Festival und 1962 beim Jazz-Festival in Frankfurt als Mitglied des Götz Wendlandt-Quintetts. 1964 stellte er dort sein Trio mit dem Bassisten Eberhard Weber und dem (inzwischen verstorbenen) Schlagzeuger Fred Braceful vor. Damit gelang ihm der internationale Durchbruch.
Um Konventionen und vermeintliche Dogmen scherte sich der pfiffige Schwabe wenig, als er beim Deutschen Jazz Festival zum Erstaunen des Publikums ein Tonband mit elektrisch verfremdeten Klängen einsetzte; 1968, als er – wieder in Frankfurt – ein musikalisches Happening abzog. Immer wieder bot Dauner erwartungsgemäß etwas Unerwartetes. So war es später in Donaueschingen mit einer skurrilen Komposition für Chor und Jazzband und bei den Berliner Jazztagen mit „Der Urschrei“, einem die Willkür der Schallplattenproduzenten anprangernden Stück. 1974 machte er für das Südfunk-Fernsehen die vierteilige Serie „Glotzmusik“, in der Kinder auf humorvolle Weise über die psychisch wirksamen und gesellschaftlichen Rollen der Musik aufgeklärt werden sollten.
Dauner betätigte sich vor allem als Komponist, wenn er „Gebrauchsmusik“ für Film und Fernsehen fertigte, wenn er dem deutsch-englischen Barockmeister Händel eine „Feuerwerxmusik“ widmet oder seinen altbewährten „Trans Tanz“ immer wieder neu- und umarrangiert.
Wolfgang Dauner und Alphonse Mouzon
Eine frische Version vom „Trans Tanz“ mit dem markanten 14-Töne-Part setzte auch den fulminanten Schlusspunkt des angerockten Jazz an einem heißen Sommerabend: Gleich vier Drummer warteten mit einem rhythmischen Feuerwerk auf: neben Florian Dauner ebenfalls aus Stuttgart der universelle Obi Jenne sowie der Nürnberger Wolfgang Haffner und der afro-amerikanische Fusion-Meister Alphonse Mouzon. An der blasenden „front line“ die alten Freunde Klaus Doldinger (nur) am Tenorsaxofon und Manfred Schoof auf Trompete und Flügelhorn. Schon 1995 präsentierten sich die „Old Friends“, die aus den von Albert Mangelsdorff angeführten „German All Stars“ hervorgingen, beim Stuttgarter Festival Jazzopen. Doldinger, einst als kommerzieller Pop-Musiker verschien, und Free Jazzer Schoof nähern sich jenseits der 70 stilistisch an, und die beiden Gema-Würdenträger stoßen mit Feuereifer ins Horn. Von Müdigkeit keine Spur.
1995 konnte bei den „Old Friends“ in der Liederhalle noch Eberhard Weber mitwirken, doch nach einem Schlaganfall und halbseitiger Lähmung kann dieser seinen Kontrabass nicht mehr bedienen. Jetzt sorgte der aus der Schorndorfer Szene hervorgegangene Wolfgang Schmid an der Bassgitarre für knackigen Groove.
Als Wolfgang Dauner am 2. Mai 1967 im Stuttgarter Mozartsaal seine Suite „Free Action Shot“ uraufführte, überraschte der Avantgardist nicht nur mit grafischer Notation, sondern auch mit dem französischen Geiger Jean-Luc Ponty. Mittlerweile wurden beide sukzessive mit der „German Jazz Trophy“ ausgezeichnet, und heutzutage einigt man sich auf ein harmonisch und rhythmisch akzentuiertes Musizieren. Dem vormaligen Experimentieren folgt eben Solidität, die sich unaufgeregt vieler Genres bedient.
Etliche Open-Air-Konzerte der „Jazzopen Stuttgart“ am Mercedes-Benz-Museum standen nicht unter einem guten Stern. Wolfgang Dauner setzte bei seiner vorgezogenen Geburtstagsparty extra einen Sonnenhut auf – nicht um seine Glatze zu kaschieren, sondern um sich vor den auch noch nach 19 Uhr heißen Strahlen zu schützen. Sein schwarzer Flügel war zuvor Dank einer Alufolie vor allzu großer Ungemach bewahrt worden. Bei Randy Crawford tröpfelte es tags darauf zum Glück nur ganz kurz. Bei Bill Evans, dem Saxofonisten, verteilte der Veranstalter an das dezimierte und durchhaltewillige Publikum kostenfrei Regencapes.
Richard Galliano
Doch dann hatte das Stuttgarter Kammerorchester doch Angst, dass durch Nässe seine wertvollen Instrumente beschädigt werden könnten. Also wurde das dieses Konzert kurzfristig gestrichen: Der Bach fiel ins Wasser. 75 Minuten vor geplantem Beginn gab es für das Konzert des Orchesters mit dem Akkordeonisten Richard Galliano „wegen starker Regenfälle“ eine Absage. Der französische Virtuose sollte nach seiner Huldigung des Thomaskantors ebenfalls mit klassischer Saitenunterstützung einige Kompositionen des argentinischen Bandoneon-Meisters Astor Piazzolla interpretieren.
Das Konzert werde zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen der „jazzopen nights stuttgart“ nachgeholt, verspricht der Festival- und Konzertveranstalter Opus GmbH. Diese Veranstaltung findet dann witterungsunabhängig im Saale statt. Vielleicht ist das Debakel doch die Überlegung wert, dass das Stuttgarter Sommerfestival wieder in die zentral gelegene Liederhalle mit ihren unterschiedlich großen Räumen zurückkehrt. Im letzten Jahr geriet ja das Gastspiel auf der Stuttgarter Messe am Flughafen mehr oder minder zum Reinfall.
Jacques Loussier
Nach dem Geiger Jean-Luc Ponty ist Pianist Jacques Loussier der zweite (in Deutschland oft präsente) Franzose, der in Stuttgart die „German Jazz Trophy“ erhielt. Die Auszeichnung vergibt seit einem Jahrzehnt die Stiftung Kunst und Kultur der Sparda-Bank Baden-Württemberg zusammen mit der in Regensburg erscheinenden „Jazzzeitung“ und der Kulturgesellschaft Musik+Wort e.V. für das Lebenswerk eines Künstlers. Preisend mit viel schönen Reden wurde der „Play Bach“-Erfinder ausgiebig gewürdigt, ehe dieser mit seinem Trio nochmals sein Erfolgskonzept präsentierte und im ausverkauften Konzertsaal der erlauchten Musikhochschule stehende Ovationen erhielt.
Ich erinnere mich noch ganz genau: Vor 45 Jahren hörte ich – als angehender Teenager – im Stuttgarter Beethovensaal erstmals „live“ Jacques Loussier und sein Bach-Spiel „Play Bach“. Eine Langspielplatte mit im Trio verswingten Werken des Thomaskantors war der Hit der in feines Holz gehüllten Musiktruhe unseres gutbürgerlichen Wohnzimmers. Zu dieser Zeit empfand man das Tun des Franzosen als Protest gegen einen allzu musealen Musiktrieb. Die – freilich nicht von Loussier erfundene – Vermengung von Bach und Jazz erregte die Gemüter; deswegen oder trotzdem stellte sich mit diesem Rezept so großer finanzieller Erfolg ein, dass er sich alsbald in der Provence ein prosperierendes Weingut samt feudalem Herrensitz und hochtechnisiertem Tonstudio leisten konnte.
Als Jacques Loussier 1985, zum weltweit zelebrierten 300. Geburtstag von Johann Sebastian Bach, sein Trio-Konzept reanimierte, wurde er nicht von der Bach-Akademie zum Europäischen Musikfest nach Stuttgart verpflichtet, sondern trat separat im kleineren Mozartsaal der Liederhalle auf. Erst 1999 erhielt er mit einem glanzvollen Konzert in der Württembergischen Staatsoper die Weihen der renommierten Helmuth-Rilling-Institution. Heutzutage gilt Jacques Loussier längst nicht mehr als „enfant terrible“ und Bach-Blasphemiker, sondern als akzeptierte Crossover-Figur.
Agierten anfangs im Trio die damals in der Jazz-Szene vielfältig aktiven Pierre Michelot (Bass) und Christian Garros (Schlagzeug), so bilden nun mit Loussier seit 1997 der Saitenvirtuose Benoît Dunoyer de Segonzac und der Schlagwerker André Arpino ein bestens eingespieltes Team. Die größten kreativen Spontaneitäten entfaltete jetzt im Stuttgarter Konzert Benoît Dunoyer de Segonzac, als er in Soli polyphon mit glissandierenden Doppelgriffen und quasi flamenco-gitarristisch vorging und mit Fremdzitaten nicht geizte. Als Begleiter und gelegentlicher Solist gefiel André Arpino durch dezentes Spiel, wobei er traditionsgemäß gerne bedächtig die Becken mit den Besen behandelte.
Außerhalb der Norm mal eine Piano-Solokadenz innerhalb des 5. Brandenburger Konzerts in D-Dur BVW 1050: Da schwelgte Jacques Loussier nachhalltig pedalsierend in Impressionismen und verblieb modal – gar nicht funktionsharmonisch – in der phrygischen Tonskala. Die schön-traurige „Air“ aus der 3. Orchestersuite in D-Dur BWV 1068 durfte auch bei dieser Performance nicht fehlen – genauso wenig wie das Italienische Konzert F-Dur BWV 971 im furiosen Calypso-Gewand.
Jacques Loussier
Der Meister aus Frankreich konzentrierte sich in der Stuttgarter Musikhochschule vor versammelter Festgemeinde gänzlich auf ohrwurmige Werke des thüringisch-sächsischen Compositeurs. Loussier hätte ja auch noch auf seine vielmals nicht minder originell gefertigten Bearbeitungen von Vivaldi, Mozart, Beethoven, Ravel, Satie oder Chopin zurückgreifen können.
Den 1934 geborenen Jacques Loussier mögen mittlerweile die Alterszipperlein plagen, aber musikantisch ist der neue „German Jazz Trophy“-Preisträger noch ziemlich fit. Unbestritten ein würdiges Finale der diesjährigen Jazzopen Stuttgart.