Am 31. Dezember 2025 feiert Mani Neumeier seinen 85. Geburtstag. Wenige deutsche Musiker entziehen sich simplen Genrezuweisungen so konsequent wie er. Auch wenn sein Name häufig im Zusammenhang mit Rock oder Krautrock fällt, liegt der Ausgangspunkt seines musikalischen Denkens eindeutig im Jazz – genauer: im europäischen Free Jazz der 1960er-Jahre.
Neumeiers musikalische Sozialisation begann mit traditionellem und modernem Jazz. Ende der 1950er-Jahre spielte er in der Schweiz Dixieland, Swing und Modern Jazz und erlebte zentrale Figuren des Jazz live, darunter Louis Armstrong, John Coltrane, Miles Davis, Thelonious Monk und Art Blakey. Diese Erfahrungen wirkten weniger stilprägend im engeren Sinn als grundlegend für sein Verständnis von Musik als einem offenen Prozess im Dialog.
Ab Mitte der 1960er-Jahre wandte sich Neumeier konsequent der freien Improvisation zu. Als Schlagzeuger des Irène-Schweizer-Trios und Mitglied des Globe Unity Orchestra war er an zentralen Entwicklungen des europäischen Free Jazz beteiligt. Auftritte bei den Berliner Jazztagen und in Donaueschingen markieren eine Phase, in der er Rhythmus nicht mehr als metrische Vorgabe verstand, sondern als formbildende, flexible Größe. In diesem Umfeld etablierte er sich früh als eigenständige Stimme innerhalb der europäischen Jazzavantgarde.
Man kann dies an einem aufschlussreichen Zeitdokument dieser Phase nachvollziehen, das auf YouTube sehen ist: Ein Mitschnitt aus Antibes aus dem Jahr 1967. Dort ist Mani Neumeier als Teil des Manfred-Schoof-Quintetts (hier zu sechst) zu sehen und zu hören, eingebettet in ein Ensemble, das exemplarisch für die europäische Jazzavantgarde jener Jahre steht. Neben Manfred Schoof an der Trompete, Gerd Dudek am Tenorsaxophon, Alexander von Schlippenbach am Klavier und Buschi Niebergall am Bass sitzen zwei Schlagzeuger gleichzeitig am Set: Neumeier und Jaki Liebezeit. Diese Doppelbesetzung ist kein Effekt, sondern Ausdruck eines erweiterten rhythmischen Verständnisses. Beide agieren als gleichberechtigte, klanglich reagierende Stimmen im Ensemble. Zeit, Puls und Dynamik werden gemeinsam ausgehandelt – ein Ansatz, der klar aus dem Free Jazz heraus gedacht ist. Das Antibes-Dokument zeigt Neumeier unmittelbar vor der Gründung von Guru Guru in einem dezidierten Jazzkontext und macht deutlich, dass sein späteres Arbeiten in anderen Zusammenhängen auf einem bereits ausgeformten improvisatorischen Denken beruhte.
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Die Gründung von Guru Guru im Jahr 1968 bedeutete insofern zwar einen gewissen Abschied vom Jazz, für Mani Neumeier war es aber eher eine Erweiterung des Aktionsradius. Der Wechsel zu elektrisch verstärkter Musik folgte dem Wunsch, Improvisation, Groove und Trance in neue klangliche Räume zu übertragen. In der damaligen freien Jazzszene kam das nicht überall gut an.
Jazz blieb für Neumeier jedoch immer Referenzrahmen – nicht als Genre, sondern als Methode. Der Titel „Free Krautrock!“ – zu hören auf der aktuellen Guru Guru LP „The Incredible Universe of Guru Guru“ – ist vor diesem Hintergrund weniger Etikett als Selbstbeschreibung: improvisierte Musik, aus dem Jazzdenken heraus entwickelt, jenseits festgelegter Formen. Kein Wunder, dass auch ein langjähriger Mitstreiter von Guru Guru, der Saxophonist und Gitarrist Roland Schaeffer, selbst seit Jahrzehnten als etablierter Musiker im Jazz und Jazzrockbereich gilt.
Eng mit Neumeiers Wirken verbunden ist auch das Finkenbachfestival, das ab 1977 im Odenwald stattfand und sich zu einem vielbeachteten Treffpunkt der deutschen Rock- und Krautrockszene entwickelte. Neben klar rockorientierten Programmpunkten traten dort immer wieder auch Formationen auf, die für einen offenen, experimentellen Umgang mit Form und Improvisation standen, darunter Faust, Kraan, Embryo, Missus Beastly und Xhol Caravan. Das Festival ergänzte Neumeiers künstlerisches Werk um eine kuratorische Dimension.
Ein weniger beachteter, aber essentieller Bereich von Neumeiers Werk ist seine Solo-Tätigkeit. In Soloauftritten wird das Schlagzeug zum autonomen Klangfeld. Darüber hinaus integriert Mani Neumeier Geräusche, Objekte, Naturklänge und elektronische Erweiterungen, die gleichwertig mit rhythmischen Impulsen behandelt werden. Zeit wird gedehnt, Puls angedeutet oder bewusst aufgehoben. Neumeier versteht diese Arbeiten nicht als Demonstration technischer Virtuosität, sondern als Konsequenz improvisatorischen Denkens: zuhören, reagieren, entwickeln. Ein Dialog ergibt sich in diesem Kontext auch auf ganz natürliche Art mit dem Publikum, die Klaviatur der Kommunikation beherrscht Neumeier in diesem Rahmen perfekt.
Ein zentraler Aspekt seiner internationalen Resonanz ist besonders in der langjährigen Beziehung zur japanischen Musikszene dokumentiert. In Japan genießt Neumeier seit Jahrzehnten hohe Anerkennung als Improvisationsmusiker mit Jazzhintergrund. Die Offenheit der dortigen Szene gegenüber freier Form, elektroakustischen Ansätzen und erweiterten Jazzbegriffen verwob sich bestens mit seiner ästhetischen Haltung. Kooperationen entstanden aus geteilter Praxis, zunächst nicht aus stilistischer Nähe. Mit Makoto Kawabate und Atsushi Tsuyama ist er bei Acid Mothers Guru Guru aktiv – sie gehören auch zu den ständigen Kollegen, wenn Mani Neumeier seine alljährliche, mehrmonatige Reise nach Japan unternimmt. Diese ist nicht nur musikalisch motiviert, sondern auch biographisch verankert: Neumeier seit vielen Jahren mit Etsuko Watanabe, selbst Künstlerin, privat verbunden.
Ein aktuelles Beispiel seiner „Japan-Verbindung“ ist das Duo mit Kazuhisa Uchihashi, das seit Langem besteht und 2020 beim Enjoy Jazz Festival in der Alten Feuerwache Mannheim auftrat. Der Mitschnitt dieses Konzerts erschien 2021 bei fixcel records. In der reduzierten Duo-Situation tritt Neumeiers Free-Jazz-Herkunft besonders klar hervor: Die Musik entsteht ohne formale Vorgaben, getragen von gegenseitigem Zuhören und spontaner Reaktion. Den Gitarristen und E-Musiker Uchihashi schätzt Mani besonders, er hebt das tiefe intuitive Verständnis der beiden Musiker hervor, das im freien Zusammenspiel in jeder Situation sofort funktioniert.
Auch zum 85. Geburtstag lässt sich Mani Neumeier nicht sinnvoll auf Krautrock oder Rockgeschichte reduzieren. Sein Werk ist vom Jazz her zu verstehen – im ästhetischen, nicht im engen stilistischen Sinn. Ob im Free-Jazz-Kontext der 1960er-Jahre, in Soloarbeiten, in seinen internationalen Projekten oder in aktuellen Veröffentlichungen: Offenheit, Interaktion und das Vertrauen in den Moment bilden den Kern seiner Arbeit. Dass diese Haltung auch nach mehr als sechs Jahrzehnten ungebrochen lebendig ist, macht seine Bedeutung bis heute aus.
PS: Live ist Mani Neumeier am 17.1.2026 beim ersten Krautrock Festival Ludwigshafen mit Guru Guru zu hören. Im Line-up dabei: Jane, Kraan und Epitaph.
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© 1997 – today | ISSN 2751-4099

























































