Berlin. Bis zur Wende 1989/1990 galt Ernst-Ludwig Petrowsky als der Albert Mangelsdorff der DDR, als eine stilistisch vorwärtsdrängende Vaterfigur der dortigen Jazzszene also. Er genoss damals das Privileg, auch im Ausland künstlerisch tätig sein zu dürfen. Die Wertschätzung für den Altsaxophonisten, der zudem noch Flöte und Klarinette blies, blieb auch nach der Vereinigung ungebrochen.
Improvisation, Kommunikation, Interaktion – das Musizierideal seiner Gruppierungen wurzelte in der Tradition der Jazz-Avantgarde. Jedoch kam man ohne Protestgehabe der frühen Free-Jazz-Jahre aus: gespielt wurde in einer ausgereiften Abgeklärtheit. Schroffe Atonalität wurde meist vermieden, stattdessen sorgten tonale Zentren, modale Skalen und Dreiklangsbrechungen für ordnende Beziehungspunkte. Obgleich man im rhythmischen Bereich auf ein starres Metrum verzichtete, wurde auch hierin dem Hörer Hilfe zuteil: Der gemeinsame „pulse“ gewährleistete Kontinuität.
All dies zusammen ergab eine Leichtigkeit und Lieblichkeit von besonderem Reiz. Das filigrane Zusammenspiel und die engverzahnte Kommunikation erzeugten geradezu eine friedliche Stimmung. Ein Stück gleich eine Stunde – in den Improvisationen wurden die rhythmischen, melodischen und klangfarblichen Partikel verarbeitet. Für die Entwicklungsprozesse ließ man sich Zeit.
Die wichtigste Band für und mit Petrowsky war sicherlich das schelmisch so genannte „Zentralquartett“. Das aus der Gruppe Synopsis hervorgegangene Ensemble, das führende Jazzensemble der verblichenen DDR. Dort stieß Altsaxophonist Ernst-Ludwig Petrowsky auch noch als 80-Jähriger progressiv und widerborstig in sein Horn. Ende 2013 spielte das Zentralquartett beim Jazzclub Schwäbisch Hall, endgültig Schluss war dann im Mai 2014, das Zentralquartett trat noch einmal bei der Jazzwerkstatt Peitz auf, mit vier Jahrzehnten auf dem Buckel. Auch der pfiffig arrangierende Pianist Uli Gumpert und der Posaunist Conny Bauer, hatten längst das offizielle Rentenalter erreicht.
Jüngster war der „Time Keeper“ Günter Baby Sommer. Beim Zentralquartett-Kollektiv standen furiose Free-Jazz-Attacken in Kontrast zum ohrengefälligen Ausgangsmaterial: volkstümlich, aber nicht dümmlich,
Der am 10. Dezember 1933 in Güstrow geborene Petrowsky, seit 1982 mit der Sängerin Uschi Brüning verheiratet, war ein avantgardistischer Show-Man. Unvergesslich bleiben seine Ansagen im Friedrichstadtpalast oder in der Berliner Philharmonie. Petrowsky starb nach langer Krankheit am 10. Juli 2023.
Eine Bildergalerie anlässlich des Todes von Ernst-Ludwig Petrowsky. Photos: Hans Kumpf