Die blonde Größe mit dem schwarzen Ton
Mittlerweile hat es sich eingespielt, dass das Sommerfestival Jazzopen im „Eventcenter SpardaWelt“ beim Hauptbahnhof seinen Anfang nimmt. Die „Stiftung Kunst und Kultur“ dieser Bank verleiht dort vereint mit der Neuen Musikzeitung und der mittlerweile nur noch elektronisch vorhandenen „JazzZeitung“ sowie der Kulturgesellschaft Musik+Wort e.V. Stuttgart die „German Jazz Trophy“. Neuerdings gibt es zu der farbintensiven Statue des Bildhauers Otto Herbert Hajek noch ein sattes Preisgeld in Höhe von 15 000 Euro – zu Zeiten der andauernden Tiefzinsphase gewiss eine willkommenen Zugabe.
Dieses Mal hat es Klaus Doldinger getroffen, dessen hetzende „Tatort“-Titelmelodie jedem öffentlich-rechtlich fernsehenden Menschen in Deutschland wohlbekannt sein dürfte. Multimedial wurde der Allround-Musiker am 12. Mai diesen Jahres zu seinem 80. Geburtstag abgefeiert: 1936 in Berlin geboren, in Wien aufgewachsen, zunächst in Düsseldorf akademische Weihen erhalten sowie in Nachtclubs ausgiebig Musizierpraxis gesammelt, seit langer Zeit in München wohnend und dort im eigenen Studio arbeitend.
Begonnen hatte Doldinger als Teenager am Konservatorium mit klassischem Klavier und Klarinette, später setzte er ein Musikwissenschaftsstudium und eine Tonmeisterausbildung oben drauf. Das swingende Saxophonspiel brachte er sich autodidaktisch bei. Ein gewiefter Komponist und ein beherzter Instrumentalist, und im hohen Alter betont er immer mehr, wie wichtig der Jazz und das (improvisatorische) Zusammenspiel mit anderen Musikern für ihn war und ist.
Sein „Dankkonzert“ für die Auszeichnung vollbrachte Doldinger mit einem illustren Quintett: „German Jazz Masters“. Hervorgegangen ist dieses Ensemble aus einem Bandprojekt, welches sich zum 60. Geburtstag des Trompeters Manfred Schoof 1996 in Köln konstituierte. Dabei waren damals noch Albert Mangelsdorff, Wolfgang Dauner, Eberhard Weber und Wolfgang Haffner. Die Posaunenstimme für den 2005 verstorbenen weltmeisterlichen Mangelsdorff wurde nicht neu besetzt, am Bass rückte Wolfgang Schmid (früher reguläres Mitglied von Doldingers Gruppe(n) „Passport“) und der ebenfalls aus Stuttgart stammende Schlagzeuger Obi Jenne nach.
Vorwiegend prägnante Stücke aus der Feder von Klaus Doldinger wurden nun zelebriert, beispielsweise das die Sounds von New Yorks Straßen reflektierende „Yellow Cab“ und das zauberhafte „Abracadabra“. Die drei überaus rüstigen 80-Jährigen – außer Doldinger noch Dauner und Schoof – entwickelten enorme Spielfreude und hatten ihren Spaß an einer vitalen Interaktion und spornten somit die „Youngsters“ Schmid und Jenne zu musikalischen Hochleistungen an. Der blonde Doldinger, wirklich eine Crossover-Größe, tönte auf dem Tenor wie ein Schwarzer (man konnte sich da an Joe Henderson erinnert fühlen).
Zuvor hatte Klaus Doldinger – absolut nicht opahaft – auf der Bühne mit dem SWR-TV-Mann Markus Brock vergnügt geplaudert und erklärt, wie in die Nachkriegszeit der Jazz ein „unerhörtes“ Phänomen gewesen sei.
Jazzopen-Promoter Jürgen Schlensog würdigte Doldinger als einen „Brückenbauer“ und NMZ-Redakteur Andreas Kolb lobte in seiner Laudatio den „leidenschaftlichen Künstler“, der sich nach wie vor in Konzerten gerne auf Überraschungen einlasse.
Rückblende: Als das bundesrepublikanische Fernsehen am 12. Mai 1967 (da feierte Doldinger just seinen 31. Geburtstag) zur nachmittäglicher Stunde die Diskussionssendung „Free Jazz – Pop Jazz“ ausstrahlte, prallten die Fronten unerbittlich aufeinander. Stilistische Grabenkämpfe allenthalben. Einerseits der „Schönklangszertrümmerer“ Peter Brötzmann mit seinem Trio, dem wütigen Wuppertaler bildlich und mental gegenüber der kommerziell bereits erfolgreiche Klaus Doldinger, der es wagte, unter dem Pseudonym „Paul Nero“ simple Tanzmusik zu machen.
Doch alsbald formierten die Doldinger-Partner Peter Trunk (Bass) und Cees See (Schlagzeug) mit Manfred Schoof (der im freejazzigen „Globe Unity Orchestra“, bei dem auch Brötzmann mitwirkte, in der noblen Berliner Philharmonie die etablierte Musikwelt geschockt hatte) das subtile „New Jazz Trio“. Und auch der experimentierfreudige Wolfgang Dauner überschritt einst die Genre-Grenzen, wobei er sich wie Klaus Doldinger jazzend der rhythmisch akzentuierten Rockmusik annäherte. Heutzutage sieht man die Situation nicht mehr so verbissen, derartige Auseinandersetzungen gehören inzwischen der Geschichte an. Mittlerweile – nach einem halben Jahrhundert – herrscht diesbezüglich doch ziemlich eitel Harmonie im Musikbetrieb.
Komponist Klaus Doldinger könnte sich längst auf seinen GEMA-Tantiemen ausruhen. Doch er liebt auch mit 80 das Körperkräfte zehrende Instrumentenspiel und wagemutig die „live“-Atmosphäre. Hierfür ist er rundum zu bewundern. Ein alter Jazzer mit unverbrüchlicher Neugier, der ein Herz hat für den Nachwuchs.