Kai Schumacher mit „Insomnia“ in Mainz, 16. März 2016

Kai Schumacher - Foto: Mümpfer

„Insomnia“ ist Beleg dafür, dass ein junger klassischer Konzertpianist wie Kai Schumacher wie alleseine Altersgenossen populäre Musik hört und mit seinem erlernten Wissen über die Klassik und die amerikanische Moderne vereint. Mit Frederic Rzewskis und seinem Zyklus „The people will never be defeated“ debutierte er. Dieses Mal hat er sich neben Gershwin und George Crumb beispielsweise John Cage und andere vorgeknüpft.

Der Pianist spielt nicht nur auf dem Flügel, sondern auch in und mit dem Instrument. Der 37-Jährige hämmert Akkorde, Cluster und Single-Notes in die Tasten, schert sich nicht ums Metrum, das nur selten von einem Drum-Computer eingespielt wird. Er greift in die Saiten des Flügels, klopft auf den Korpus. Auf der Bühne des Frankfurter Hofes in Mainz steht das mächtige Instrument mit der Fähigkeit, filigrane Klänge, rasende Läufe, brachiale Akkordschichtungen und zarte hingetupfte Töne zu produzieren. „Insomnia“, wie Schumacher das Programm nennt, bedeutet Schlaflosigkeit. Es sind die vielfältigen Eindrücke einer Nacht, die der Pianist auf einprägsame Weise verarbeitet hat.

Im Dunkel des Saales flimmern auf der riesigen Leinwand psychedelische Illuminationen aus Kreisen,  Weltkugeln und Figuren, in denen menschliche Schattenrisse, aber auch erläuternde Schriftzüge auftauchen. Eine Stimme verrät, dass es ein Uhr in der Nacht ist, der Mensch somit seiner Schlaflosigkeit ausgesetzt ist. Verstärkt wird der Eindruck vom Surround-Sound aus Lautsprechern, die das Publikum von allen Seiten beschallen.

Der klassisch ausgebildete Kai Schumacher akzeptiert keine Grenzen. Sechs Interpretationen mit teilweise improvisierten Passagen der Kompositionen von  George Gershwin, George Crumb, Benjamin Broening, Pierre Jodlowsi John Cage, Brian Belet und Bruce Stark füllen das Insomnia-Repertoire Schumachers. In den Hymnen an die Nacht reagiert der Künstler sensibel auf die Videoshow. Präzise sind seine Einsätze, intuitiv passt er die Dynamik dem Geschehen auf der Leinwand an.

So entwickelt Schumacher pianistische Klangwelten zwischen Melancholie und Manie zu den Projektionen des Berliner Video-Künstler Marcon Moo und dem Sound-Design von Jonas Gehrmann. Ostinate Tontrauben sorgen ebenso für Spannung wie der wütende Anschlag des energetischen Spiels.

Die Stücke erfordern offene Ohren und die Bereitschaft, sich auf das Spiel des Pianisten sowie die multimediale Präsentation einzulassen. “Urban Nocturnes“ des Jazzpianisten Bruce Stark, mit dem Kai Schumacher das Programm beschließt, klingen da schon vertrauter. Jazziger als die anderen Bearbeitungen, teilweise lyrisch und melodisch sowie sanft bis kraftvoll bewahrt das Stück vor dem völligen Abdriften im Soundkosmos.

Die Zuschauer im Frankfurter Hof werden mit dem von Schumacher transkribierten Ständchen „A New Error“ von der Gruppe „Moderat“ belohnt. Dieses Mal kostet der Pianist die Klangfülle des Flügels aus, stellt seine virtuose und makellose Technik in den Dienst der Musikalität. Die unbezähmbare Neugier des Künstlers hat ein fantastisches Klangabenteuer geboren. 

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