Jazz-Stars und Star Wars: Sopransaxophonist Wayne Shorter improvisierte mit Keyboarder Herbie Hancock bei den Jazzopen

Wayne Shorter - Photo: Kumpf
Text und Photos: Hans Kumpf 

Stuttgart.- Bei Wayne Shorter können sich die Geister ja ganz heftig scheiden. Ist der Saxophonist ein global geschätzter Neuerer oder liefert der inzwischen 80-Jährige nur blamable Musik ab? Jürgen Walter, gegenwärtiger Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und seit Jahrzehnten als Organisator von Jazzkonzerten erfahren, hält Wayne Shorter für „den“ Musiker des 21. Jahrhunderts. Als ich Wayne Shorter 1973 im südfranzösischen Chateauvallon erstmals „live“ hörte, schrieb ich in der Zeitschrift „Jazz Podium“, seine Gruppe „Weather Report“ mit dem Keyboarder Joe Zawinul habe musikalisch und in der Interaktion ein „lang anhaltendes Tief“ offenbart und sei die „größte Enttäuschung“ des mehrtägigen Festivals gewesen, Shorter habe aber noch die beste Einzelleistung innerhalb der Combo erbracht.

Als Wayne Shorter 1991 in der Stuttgarter Liederhalle beim sommerlichen „Jazzgipfel“ im Quartett zusammen mit dem Pianisten Herbie Hancock auftrat, vermerkte ich in diversen Printmedien: „Saxophonist Wayne Shorter hatte offensichtlich Schwierigkeiten mit dem technischen Zustand seiner Instrumente und wirkte weniger souverän“. Nach seinem Gastspiel bei der Warschauer „Jazz Jamboree“ im Oktober 1991 notierte ich für die Presse: „Eine instrumentale Enttäuschung dagegen war (wieder) Wayne Shorter: Auf dem Sopransaxophon intonierte er erbärmlich schlecht, seine Phrasen wirkten eingeschüchtert. Musikalische Magerkost bot er auch auf seinem höhenbetonten Tenor. Herbie Hancock, diesmal nur akustisch, erwies sich jedoch als ein aufmerksamer Partner, der mit seinem Pianospiel so manche Ungereimtheiten ausglättete“.

Im November 1997 war in der „Eßlinger Zeitung“ mein Bericht über das Jazzfest Berlin zu lesen:  „Bei dem Duo der Miles-Davis-Weggefährten Wayne Shorter und Herbie Hancock gingen die Meinungen im Publikum und in der Fachkritik auseinander. Unstrittig ist, dass der mit 57 Jahren immer noch jugendlich verschmitzt wirkende Hancock gewitzt in die akustischen Klaviertasten zu greifen vermag und aufmerksam auf die jeweiligen musikalischen Partner reagieren kann. Der sich jetzt auf das Sopransaxophon beschränkende Shorter hingegen täuschte einmal wieder mehr Probleme mit der Instrumentenmechanik vor.“

Eigentlich hätte Wayne Shorter bereits am 17. Juli letzten Jahres in kleinerem Rahmen bei einer Jazzopen-Veranstaltung spielen sollen –  im EventCenter der sponsernden Sparda-Bank aus Anlass einer Premiere eines Dokumentarfilms mit ihm in der Hauptrolle. Doch der Amerikaner sagte kurzfristig ab, wie es hieß, aus finanziellen Gründen.

Wayne Shorter könnte sich auf seinen Tantiemen-Lorbeeren ausruhen. Bei „Jugend jazzt“ wird stets seine Nummer im Sechsvierteltakt, „Footprints“ interpretiert. Doch nach eigener Aussage will der greise Instrumentalist nach wie vor musikalisch neugierig sein: “Unsere Musik beschäftigt sich mit dem Unerwarteten.“ Und Herbie Hancock pflichtet bei: Ich suche immer neue Wege und neue Visionen für die Musik.“

Bei dem Nordiren Van Morrison, in dessen Adern ja nicht hundertprozentiges Jazzblut fließt, war der Schlossplatz mit fünftausend Besuchern rappelvoll. Wenn „saxophone colossus“ Sonny Rollins (Jahrgang 1930) heutzutage irgendwo ins Horn stößt, nehmen so etliche Nachwuchsjazzer eine Anreise von mehreren hundert Kilometern in Kauf. Umso größer geriet für die Jazzopen-Veranstalter die Enttäuschung, als sich 2009 zu einem Konzert des US-Stars mit dem Faible für Calypso-Rhythmen lediglich siebenhundert Zuhörer in eine Halle der Stuttgarter Messe einfanden. Unverkäuflicher Jazz? Zieht nur Rock oder Pop?

Immerhin: Wohl dreitausend Besuchern lauschten jetzt auf ihren Sitzplätzen mucksmäuschenstill und konzentriert der eineinhalbstündigen Darbietung der beiden Amerikaner. Beim ersten Stück, zentraltönig, agagogisch und lyrisch, wirkte Wayne Shorter schon optisch noch sehr unruhig: Er setzte oft das Mundstück an, spielte aber dann doch nicht. Auf dem Sopransaxophon nur kurzatmige Aktionen, böse Blicke Shorters auf sein Instrument. Nach vertrauter Manier hielt Hancock gekonnt die Musik zusammen.

Doch im Laufe des Abends wurde das Zusammenspiel interaktionsreicher, dichter und energischer, gemeinsam geschaffene Intensitäten entwickelten sich. Reines Improvisieren an Stelle von American Songbook – modale Spielweisen anstatt Funktionsharmonik. Auf dem modernen Fazioli-Flügel orientierte sich Herbie Hancock virtuos mal an Gershwin, mal an Bartok. Aus der digitalen Retorte kamen neben Gezirpe und Xylophonartigem auch weniger „natürliche“ Klänge, als er seiner Elektronik farbiges Rauschen und aufbrausende Sounds entlockte. „Star Wars!“ hallte ihm aus dem Publikum erkenntnisreich entgegen. Zeitweilige perkussive Rhythmen, selbstständig generiert vom Synthesizer, animierten die Beiden zu metrisch gebundenen Melodielinien.

Am Ende der warmen Jazznacht schließlich mal eine Bluesphrase, modernistische Akkorde, melodisch Liebliches – ein besinnliches und geradezu beseeltes Musizieren der beiden Altmeister.

Zuvor konnten die Jungen in zwei Formationen aufspielen. Weniger zimperlich als so manch andere Band vom „Playground Baden-Württemberg“ gingen die Mannheimer „The Windwalkers“ um den kolumbianischen Perkussionisten Mario Maradei Gonzalez vor. Südamerika ließ grüßen.

Pnderhughes - Photo: Kumpf

Der temperamentvolle Trompeter Christian Scott aus New Orleans bestätigte sich mit seinem munteren Septett als großer „Fusionär“, der unbekümmert alle möglichen historischen und futuristischen Stile und Genres vereinnahmt. Seine neue erst 19-jährige Flötistin durfte ausgiebig und brillant solieren. Ihren Namen muss man sich merken: Elena Pinderhughes. A Star was born… 

Christian Scott - Photo: Kumpf
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