Alle Photos (hier Klaus Doldinger) auf dieser Seite: Hans Kumpf
Der Bundeswehr zum feierlichen Gelöbnis, dem Entertainer Frank Sinatra und dem popmusikalischen Sommerfestival des Südwestrundfunks wurde es längst gestattet, nun durfte endlich auch das Festival Jazz Open den ansonsten als Parkplatz für Ministeriumsbedienstete genutzten Hof des Neuen Schlosses in Beschlag nehmen. Gleich am ersten Veranstaltungstag war das Open-Air-Gelände mit fünftausend Karten, Stehplätze direkt an der Musikbühne und Sitzplätze auf entfernten Stahltribünen, ausverkauft. B.B. King, der inzwischen 85jährige Blues-Veteran, hatte die Massen magnetisch angezogen. Jazz in Reinstkultur hätte ja nicht so viele Leute angelockt. Den konnte man zeitgleich im Jazzlokal BIX erleben – mit dem nach wie vor kraftvoll aufbrausenden Saxophonisten Chico Freeman und der Gruppe des einheimischen Tenoristen Alexander „Sandi“ Kuhn.
B.B. King
„Blues Boy“ King zeigte sich routiniert bestens gelaunt und warf mehrfach Gitarrenplektren zum schwäbischen Volk hinunter, so wie rheinischen Frohnaturen die süßen Kamellen. Für sein Alter sang und spielte er erstaunlich ordentlich, aber der stets auf einem Stuhl hockende Weltstar machte seine Mitwirkung bei den Stücken und den Gesamtauftritt – wie auch bei anderen Auftritten in Europa -ziemlich kurz. Immerhin brachte er seine Band unter der Leitung des voluminösen Trompeters James Bolden aus den USA mit und begnügte sich nicht mit billig angeheuerten Jung-Europäern. Die afro-amerikanische Altherrenmannschaft legte sich ordentlich ins Zeug und ließ es an jazzigen Improvisationen nicht mangeln. Es muss ja nicht unbedingt immer der 12-taktige Blues sein. Zelebriert wurden da auch „You Are My Sunshine“ und den fröhlichen Beerdigungssong „When The Saints“.
Rob Paparozzi
In vertraute Hits integrierte Improvisationen der spontan-jazzigen Art spielten auch bei den reanimierten Kultbands „Chicago“ und „Blood, Sweat &Tears“ eine nicht unwesentliche Rolle. Bei „BS&T“, wo jetzt kein einziges Mitglied der Urbesetzung mitwirkte, tat sich da besonders der Saxophonist Kenny Gioffre hervor. Aber beim Ohrwurm „Spinning Wheel“ fiel es dem Trompeter Teddy Mulet schwer, die perfekte Höhen-Brillanz von Lew Soloff zu erreichen, und auch der neue Vokalist Rob Paparozzi geriet nur zum schwachen Abbild von David Clayton-Thomas. Langsame Nummern wie Herbie Hancocks „Maiden Voyage“ und Billie Holidays „God Bless The Child“ bildeten einen willkommenen Kontrast zum kraftprotzenden Jazzrock. Den dritten und letzten Festivaltag am Schlossplatz dominierte der italienische Chansonier Paolo Conte.
Joyce Kennedy
Weniger interne Abwechslung gab es bei den Vorgruppen. Funk und Action mit der blondierten Schwarzen Joyce Kennedy von „Mother’s Finest“, Liebliche Liedchen der auch an der Gitarre und am Keyboard tätigen englischen Sängerin Julia Biel, deutscher Rap der südbadischen Formation „FunkTional“ (2005 beim Landeswettbewerb „Jugend jazzt“ mit einem 2. Preis bedacht), Blues mit Latino-Zugaben des Briten James Hunter. Aber alle Acts des Stuttgarter Juli-Jazzfestivals lassen sich ohnehin nicht aufzählen, geschweige genauer beschreiben.
FunkTional
Vom Veranstaltungsort einige Nummern kleiner und vom Innenstadt-Rummel wesentlich entfernter zeigte sich das ebenfalls freiluftige Mercedes-Benz-Museum.
Klaus Doldinger, Wolfgang Schmid
Im Vorjahr feierte Klaus Doldinger beim 75. Geburtstag von Pianist Wolfgang Dauner im Amphitheater der Stuttgarter Nobelmarke mit, jetzt hat der am 12. Mai 1936 in Berlin geborene Saxophonist selbst ein Dreivierteljahrhundert auf dem Buckel. Zum gefälligen Ständchen in eigener Sache brachte er gleich zwei Gruppierungen mit, nämlich seine alte (1971 gegründete) und die aktuelle „Passport“-Formation. Schon 1996 bescherten die Jazz Open dem bebrillten Blonden mit dem schwarzen Sound im Hegelsaal eine grandiose Doppeljubiläumsfeier: Damals zählte Doldinger noch 60 Lenze und seine kommerziell erfolgreiche Band 25 Jahre.
Klaus Doldinger
Die Musik des in München lebenden Doldinger hat auch außerhalb der Jazzszene einen außerordentlich hohen Bekanntheitsgrad, schließlich ließ er sich die markante Titelmelodie vom ARD-„Tatort“ einfallen und komponierte unzählige Filmmusiken. Zudem verdiente der grenzenlose Jazzmusiker mit Werbejingles viel Geld. In einem SWR1-Interview bekannte er unlängst, dass er einst die Ohrwürmer für Slogans von Rama-Margarine und Odol-Mundwasser geschaffen habe. Doch das im eigenen Studio an viel elektrotechnischem Gerät werkelnde Allroundmusiker ist gerne ein glücklich schwitzender Instrumentalist geblieben – er könnte sich das Leben ja leichter machen, erst recht im fortgeschrittenen Rentenalter, das ihm weder anzusehen noch anzuhören ist.
Q4
Eröffnet wurde der Abend zwischen Sonnenschein und einzelnen Regentropfen jedoch vom Quartett „Q4“ des Mannheimer Altsaxophonisten Olaf Schönborn, der sich mit zwingendem Ton und moderaten Tempi dem südamerikanischen Musikmetier annahm. Wie er, so präsentierte sich dann auch Doldinger vor fast ausverkaufter Spielstätte als etwas geschwätziger und etliche Anekdoten erzählender Conférencier.
Klaus Doldinger ließ zunächst seine vor 40 Jahren (im Todesjahr von Louis Armstrong) kreierte nun als „Classic Passport“ titulierte Vier-Mann-Gruppe in alter Frische aufleben. Der sehr groovig agierende Wolfgang Schmid überzeugte bei Soloimprovisation schnellläufig und doppelgriffig mit der Bassgitarre, unmittelbare Intensität auch bei Kristian Schultze an den Keyboards mit lustvoll anglissandierten Melodiebögen und bei Schlagzeuger Curt Cress, der in einem unbegleiteten Solo beim gewitzt hingezauberten “Abracadabra“ die „talking drums“ für sich sprechen ließ. Ein knackiger Rockjazz-Sound allenthalben verbunden mit lustvoller Kommunikation und engen Interaktionen. Dominierend freilich Klaus Doldinger mit seinem (und besonders bei „Yellow Dream“ elektronisch transformierten) gebogenen Sopransaxophon und auf dem kraftvollen Tenor.
Mit gleich drei Schlagwerkern im Hintergrund sticht bei „Passport Today“ das perkussive Element hervor. Christian Lettner, Ernst Ströer und Biboul Darouiche bilden hier ein harmonisches Team. Der Kameruner Darouiche bereichert mit Gesangsbeiträgen noch authentisch die umfassende Weltmusikalität von „Passport“. Bei einem Marokko gewidmeten Titel wurde anfangs eine Originalaufnahme aus dem Maghreb-Land eingespielt und schuf unmittelbare Atmosphäre. Mit digitaler Konserve aus dem Off leitete Doldinger auch seine Konzertversion seines Filmmusikklassikers „Das Boot“, der es auch einem in die Techno-Pop-Charts geschafft hatte, ein. Zuverlässig wie eh und je die langjährigen Saiten-Kollegen Patrick Scales (Elektrobass) und Peter O’Mara (Gitarre). Der österreichische Keyboarder Michael Hornik hat jedoch noch nicht die intelligente Souveränität seines (italienischen) Vorgängers Robert Di Gioia entwickelt.
Abwechslungsreich zwischen Up-Tempo-Nummern und beseelten Balladen gestaltete der absolute Profi Klaus Doldinger sein Programm. Eine schöne Atmosphäre schuf er mit einem langen Tenorsaxophonsolo bei „Dark Flame“, ursprünglich für einen 1938 in Moskau handelnden Film komponiert.
Diane Reeves
Erwartungsgemäß hatte bei dem Projekt „Sing The Truth“ die temperamentvolle Dianne Reeves die Jazz-Nase vorn, ihr folgten Lizz Wright und Angelique Kidjo. Als Keyboarderin präsentierte sich hier Geri Allen.
Geri Allen
Gegen Abschluss des Festivals Jazz Open wurde in der Stuttgarter Musikhochschule Dave Holland mit der „German Jazz Trophy“ ausgezeichnet. Den Preis, eine von dem Bildhauer Otto Herbert Hayek (1927-2005) geschaffene farbenprächtige Skulptur, verleihen seit 2001 die Sparda-Bank Baden-Württemberg, nunmehr Hauptsponsor des Sommerfestivals, die in Regensburg erscheinende „Jazzzeitung“ sowie die Kulturgesellschaft Musik+Wort e.V., Stuttgart. Die allererste derartige Würdigung für sein Jazz-Lebenswerk fand vor zehn Jahren der Bandleader Erwin Lehn. Bassist Holland, am 1. Oktober 1946 im englischen Wolverhampton geborenen, betätigte sich von Folk bis Free und wurde weltweit durch seine Zusammenarbeit mit Miles Davis („Bitches Brew“) bekannt.
Dave Holland mit der Germany Jazz Trophy
Vorbild war für Dave Holland einst der Kontrabassist Ray Brown. Nun bedankte sich der international geschätzte Saitenvirtuose mit einem Konzert seines Quintetts, bei dem zunächst Posaunist Robin Eubanks in einer Improvisation das Deutschlandlied intonierte und Dave Holland dieses Zitat solistisch aufgriff. Freilich: Diesen musikalischen Scherz erkannte nicht jeder im Publikum.
Insgesamt 20 000 Besucher zählten die Veranstalter schlussendlich beim Jazz Open 2011.