Jazz mit harmonischen Elektro-Zutaten


Fotografien: Hans Kumpf 

In schöner Regelmäßigkeit lädt der nunmehrige Jazzclubvorsitzende Dietmar Winter die baden-württembergischen Landesjazzpreisträger des Vorjahres nach Schwäbisch Hall ein. Der Pianist Rainer Böhm ging bei seinem Konzert in der Hospitalkirche ziemlich unorthodox vor.

Schwäbisch Hall. Immer wieder erfreuen sich die Jazzer aus aller Welt am barocken Ambiente der Hospitalkirche. So auch Rainer Böhm mit seinem internationalen Ensemble. Eine Wohlfühlatmosphäre für die Künstler allemal.

Trio oder Quartett? Zu den drei Musikern auf der Bühne gesellte sich als vierter Mann Thomas Fuchs, der mittels zwei DVD-Playern, Live-Camera und Videomischpult „visual arts“ betrieb – also mit Visuellem den akustischen Ereignissen vielfarbig eine optische Dimension hinzufügte. Die Rezipienten im Saale waren nun zur eigenständigen Kreativität animiert, Hör- und Augeneindrücke sinnstiftend in Beziehung zu setzen. Auf drei Leinwandstreifen, einem Triptychon gleich, projizierte der Videobeamer mehr oder weniger künstl(eris)ch verfremdet mal Naturaufnahmen zwischen Himmel und Wasser, mal Szenen vom (unbestreikten) Hamburger Hauptbahnhof, mal die beteiligten Musiker in Aktion, mal beängstigende Maschinen wie in Charlie Chaplins „Modern Times“, mal Menschenmassen. Der auch als Komponist tätige Thomas Fuchs stammt – wie Rainer Böhm – aus Ravensburg und musizierte bereits zu Teenager-Zeiten mit dem Pianisten zusammen, damals noch mit Gesang und auf der Gitarre.

Rainer Böhm, geboren 1977, hatte weltweit schon etliche Wettbewerbe gewonnen und Auszeichnungen erhalten, ehe ihm 2010 der mit satten 15 000 Euro dotierte Jazzpreis Baden-Württemberg zuerkannt wurde. Inzwischen ist Böhm in Mannheim ansässig und doziert in Mainz. Er hat außer Jazz auch Klassik studiert. In seinem Trio-Konzept nimmt sich Böhm jedoch als Pianist merklich zurück – dies ist der demokratischen Gleichberechtigung geschuldet. Konventionell und keinesfalls experimentell gibt sich Böhm mit dem Tastenspiel – und greift kaum ins Flügelinnere oder inszeniert ein präpariertes Piano in der Nachfolge von John Cage. Ihm liegen da eher rauschende Romantizismen, liebliche Lyrismen, minimalistische Patterns, Modalharmonik und Zentraltönigkeit. 

Ähnlich wie der italienische Musikrevolutionär Luigi Nono bei seinem Sinfonieorchesteropus „No Hay Caminos“ (eine denkwürdige Aufführung 1989 bei den Donaueschinger Musiktagen!) akribisch und konsequent den Ton “g“ regelrecht auskomponierte, so fixierte sich nun Rainer Böhm auf den Ton „h“, der ja im angelsächsischen Notensprachgebrauch „B“ genannt wird – so auch die Betitelung des Stücks: Eine Konzentration auf das Essentielle, eine klare Absage an schwätzerische Ausschweifungen. 

Zudem bevorzugt Böhm unaufgeregt langsame Tempi – und wenn seine Bühnenkollegen Elektronisches einbringen, so bleibt der Gesamtklang recht ohrengefällig. Rainer Sell aus St. Pauli hantiert mit Beats und Bytes geschickt am Apple-Laptop und an weiterem HiTech-Gerät, bringt aber doch „humane“ Sounds zuwege. Da übernimmt er synthetisch zuweilen elegant die Rollen eines Bassisten und Perkussionisten. Subtile Sensibilität anstelle nervigem Techno-Gedröhne.

Der aus Oslo angereiste Gunnar Halle kommt zwar von der Klassischen Musik her, elektronifiziert aber auch – wie sein norwegischer Landsmann Nils Petter Molvær –seine Trompete, wenn es die musikalische Gesamtkonzeption geziemt. So blies Halle in Hall nicht nur mit künstlichem Nachhall, sondern zauberte harmonische Klangbänder herbei und eckte kurz mit einem knarrenden Sägezahngenerator an. Wie der Hanseat Rainer Sell so bediente sich auch der Skandinavier Gunnar Halle nicht billiger Effekthaschereien der elektronischen Art – ein ehrliches und stimmiges Musizieren fern egozentrischer Eitelkeiten. Das Böhm-System besteht hier aus wirklicher Gruppenmusik mit der Zusatzkomponente „visuals“. Natürlich Akustisches und digitale Wunderwelt werden gewitzt vereint.

Vor wenigen Wochen wurde die 1981 in der Schweiz geborene Sängerin Anne Czichowsky zur aktuellen Landesjazzpreisträgerin Baden-Württemberg gekürt. Sie wird sich dann aller Voraussicht nach 2012 in der Hospitalkirche bei der zusammen mit dem städtischen Kulturbüro veranstalteten Konzertreihe „Jazztime“ präsentieren. Zuvor darf man aber am selben Ort auf die fünfte Ausgabe vom Haller JazzArtFestival gespannt sein, das vom 5. bis zum 10. April 2010 terminiert ist.

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