Jazz bei den Donaueschinger Musiktagen


Free-Jazz-Altmeister Cecil Taylor trat solistisch und mit Trio auf

Die “SWR NOWJazz Session” der Donaueschinger Musiktage wurde örtlich und zeitlich erstmals aufgegeteilt. Etwas „live“ und als pure Installation konzipierten Andrea Neumann und Christof Kunzmann als Auftragswerk „4rooms“, während mit dem mittlerweile 75jährigen Cecil Taylor ein Altmeister des Free Jazz präsentiert wurde. „United Structures“ nannte der Pianist vor über drei Jahrzehnten eine Platte und so manches mitteleuropäische Ohr vermochte bei der Musik des Afroamerikaners rational entwickelte Strukturen und Formen heraushören. Als ich Cecil Taylor 1973 interviewte (siehe Jazz Podium 3/1974), wischte er derlei Deutungen entsetzt vom Tisch und betonte mit Nachdruck: „Feeling ist für mich das wichtigste Element in der Musik. So viele Leute im Westen verstehen nicht das Herrschende und das Absolute der Natur und was die Vorstellung und die Realisierung von Feeling bedeutet. Sie sind mehr interessiert an Konzeptionen. Sie erkennen nicht das Feeling in seiner magischen Eigenart.“

Cecil Taylor, inzwischen weißhaarig, ist sich stilistisch treu geblieben. Immer noch verblüfft er durch das wahnsinnige Tempo, mit dem er – sich selbst als Trommler bezeichnend – die Tasten anschlägt: eine enorme Körperlichkeit – hör- und sichtbar. Die superschnellen Lineaturen verästelt er kontrapunktisch, um dann alsbald ein wildes Cluster-Leben treiben. Es mag die Altersweisheit des New Yorkers sein, dass Taylor nunmehr etliche leise und quasi meditative Momente einbringt und sogar schwelgerische Romantizismen und Debussy-Lyrismen nicht verschmäht. Sein Spielfeld bleibt die Tastatur, ein „prepared piano“ im Geiste von Cage und Aktionen im Inneren des Flügels gab es für ihn in Donaueschingens edler Donauhalle A nicht. Auf theatralisch-tänzerische Einlagen verzichtete er jetzt (Karlheinz Stockhausen musste sich mit der nüchternen Donauhalle B zufrieden geben, um seine opernhaften „Licht-Bilder“ uraufführen zu können).

Nach einem ausführlichen Solo-Beitrag tat sich Taylor im Trio mit dem Trompeter Bill Dixon und dem Schlagzeuger Tony Oxley zusammen. Eine gute Session – aber keine Sensation. Die intensitätsgeladenen Interaktionen liefen besonders zwischen Taylor und dem filigran vorgehenden englischen Drummer, dieweil Bill Dixon (Jahrgang 1925) separat oft lang gezogene Töne ins Horn stieß. Mit seinem geradezu „punktuellen“ Musizierideal ist der Bläser für ein „europäisches“ Avantgarde-Festival prädestiniert. Er arbeitet gerne nur mit Luft und lässt es farbig rauschen, durch Hineinsingen erweitert er das Obertonspektrum, mikrotonale Nuancen setzt er mit Bedacht und tiefste Pedaltöne runden den Sound nach unten ab. Der sensible Bill Dixon spielt abgeklärt mit Zeit und Raum. In Donaueschingen führte er zu ausgiebig seine Spielereien mit einem Echo-Gerät vor. Unmutsäußerungen im Publikum waren die Folge. Immerhin vermochte Bill Dixon eine doch lebendige und lustvolle Beziehung zwischen Jazz-Metier und – wenn auch simpler – Elektronik zu schaffen. Gewitzter kombinierte da zu Beginn des Konzertsabends Tony Oxley solistisch sein Perkussionsmaterial mit den Delays der Steckdosen-Technik.


In vier Unterrichtsräumen der Donaueschinger Realschule wurden für aufwändige Rundfunkübertragungen „4rooms“ zelebriert. Die Turnhalle diente dazu noch als akustischer Kulminationspunkt. Im eigentlichen Musiksaal saßen Tony Buck am konventionellen Drumset und die Komponistin Andrea Neumann an einem so genannten „Innenklavier“. Die Musik dieses Duos wurde von drei Elektronikern (Sabine Ercklentz, Ana Maria Rodriguez, Co-Komponist Christof Kurzmann) simultan transformiert. Ein von dem Jazz-Redakteur Reinhard Kager initiiertes Experiment mit Installationscharakter – aber kein Jazz, weder im althergebrachten, noch im progressiven Sinne.

SWR2 sendet den Mitschnitt von Cecil Taylor und seinen Kollegen am Freitag, 29.10.2004, ab 23 Uhr.

(Oktober 2004)

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