…und da ist’s schon wieder passiert: Drei Tage und einige Stunden bei Jazz & The City in Salzburg verbracht, mit der Trias „Laufen, Sehen, Lauschen“ – inspirierende Tage facettenreiche Kultur, rotierend ums Zentrum aus Jazz und improvisierter Musik. In Salzburg wird die ganze Stadt zur erlaufenswerten Bühne, die Wege von Veranstaltungsort zur Veranstaltungsort sind gespickt mit Entdeckungen. Die können klingend sein oder auch ganz anderer Art. Der große Balkenhohl auf der güldenen Kugel unterhalb der Feste ist nicht zu übersehen, die kleine Frau ein paar Höfe weiter in den Fels gestellt – ebenfalls vom Skulpturenkünstler Balkenhohl geschnitzt – die entdeckt man eher beiläufig am Rande in einem anderen Hof in der Wand. Und auf dem Weg in die Innenstadt, zuvor, weiß man auf einmal in welcher Kirche der Dichter Georg Trakl getauft wurde. Mozart natürlich an jeder Ecke.
Wer sich beim Festival bei einem der „Hidden Tracks“ durch die Stadt führen lässt, der weiß schon was das Ziel ist: eine Überraschung. Eine kulturelle Schnitzeljagd durch Gassen und Häuser, mit ungewissem aber immer interessantem Ausgang. Im Keller des Traklhauses landet man in einer Lithographie-Druckwerkstatt. An einem simplen Tisch sitzt die adrette „Schreibmaschinen-Lady“, rhythmisch auf einer mechanischen Schreibmaschine tippend, dadaeske Texte deklamierend, aufs Publikum reagierend und mit ihm agierend, manchmal eine Zeichnung neben die getippten Lettern aufs Papier werfend. Daneben werkelt der Schlagwerker Vogel, ohne Schlagzeug, aber als kongeniale Ergänzung mit lautstark verrückten Stühlen und Rhythmusarbeit auf Allem, was die Einrichtung halt so hergibt.
Der „Schreibmaschinen-Lady“ – es ist die Hamburger Künstlerin Tina Oelker – begegnet man in den kommenden vier Tagen immer wieder. Manchmal angekündigt aber ebenso unerwartet im Programm aufploppend. Besonders fantastisch war das mit einem der weiteren Kunstnomaden dieser Salzburger Tage: Christian Reiner. Der Sprachkünstler und Performer lebt in Wien und fühlt sich offensichtlich in der Gesellschaft origineller Jazzmusiker wohl. Das führt ihn nicht nur nach Salzburg, sondern erst jüngst als Artist in Residence zum Jazzfestival Saalfelden. Bekannt ist er den Jazzhörern vom Trio „Weiße Wände“, mit Gitarrist Karl Ritter und Schlagzeuger Herbert Pirker. Ein Höhepunkt bei Jazz & The City war der Auftritt der wuchtigen Großformation „Kuhle Wampe“ auf der Hauptbühne in der „Szene“. Politisch und poetisch die Texte, die Band dynamisch, und quirlig-exaltierter Motor im Zentrum der Band: Christian Reiner.
Richtig nah und noch näher an dessen phänomenalen sprachlichen Rhythmusgefühl war man wiederum unterwegs: mit Almut Schlichting und Anke Lucks (Insomnia Brass Band) traf er sich im spontanen Blinddate-Trio und eben auch mit Tina Oelker am Zielpunkt eines kleinen kulinarischen Stadtrundgangs beim „Hidden Track“ in der Gartenlaube der „Buchgalerie wechselseitig“ von Luisa Thies. Ein vergleichsweise winziger Auftrittsort, zumindest im Vergleich zur Kollegienkirche, die noch mehr als in den Vorjahren Zentrum für Improvisation war, vielfältig bespielt, besonders beeindruckend mit Sologesang und Gitarrensound von Stian Westerhus, „round midnight“ nur von einigen Kerzen beschienen.
Ansonsten das musikalische Programm in Salzburg: wie üblich üppig. Nichts für Komplettisten, schon gar nicht für diejenigen, die sich der Vielfalt der reichlichen Spielstätten stellten und entsprechend zu Fuß unterwegs waren. Im Hauptprogramm – wenn man so will – waren viele bekannte Namen zu finden, eines der Highlights war der formidable Duo-Parforceritt von Aki Takase und Daniel Erdmann. Weitere interessante Formationen: Max Andrzejewski mit einer erweiterten Fassung seiner Formation Training, Oli Steidle’s Killing Popes. Andere vermutlich verpasst, beim „Das Kapital“ war‘ sicher so, die populäre Maria Joao hat einige Freunde begeistert. Außergewöhnlich auch das weniger jazzige Eröffnungskonzert mit Ian Shaw, das von Festivalchefin Tina Heine kuratiert wurde.
Im Grunde ist das Festival Jazz & The City gespickt mit „Artists in Residence“ die nicht offiziell so genannt werden. Almut Kühne als „Dauer-Artist in Residence“ war, wie in den Vorjahren, dabei. Ebenso die Künstlerinnen und Künstler, die an allen Ecken und auch am Strand der Salzach – Hasse Poulsen auf einer mobilen Velobühne! – in verschiedensten Konstellationen agierten. Maja Osojnik mit ihrem Rdeča Raketa Kollegen Matija Schellander und Natascha Gangl waren ebenfalls faktische Artists in Residence und bespielten mit mehreren Projekten die Spielstätte Galerie 5020. Besonders gelungen das Live-Hörspiel „Die Revanche der Schlangenfrau“ (das sich mit der Autorin und Künstlerin Unica Zürn auseinandersetzt): Rdeča Raketa als Begleitung der Verfasserin und blendend vortragenden Natascha Gangl.
Nicht jede Stadt kann und will sich ein – fürs Publikum – kostenloses Jazzfestival wie Jazz & The City leisten. Dass dies seit einigen Jahren so gut funktioniert ist mit Sicherheit wesentliches Verdienst der Festivalchefin Tina Heine, der es immer wieder gelingt mit einem anspruchsvollen Programm ein auch überregionales Publikum anzulocken. Dieses Festival ist ein fantastischer Botschafter für die faszinierende Stadt Salzburg.