Henry Threadgill mit Zooid in der Rüsselsheimer Jazzfabrik, 7. Mai 2013

Text & Fotografie: Klaus Mümpfer

Fast scheint, als wohnten zwei Seelen in der Brust von Henry Threadgill. Die eine outet sich eher kontemplativ und nach innen gekehrt, die andere expressiv und extrovertiert. Und so empfindet der Zuhörer auch das Konzert des 1944 in Chicago geborenen Musikers mit seiner Gruppe Zooid bei der Rüsselsheimer Jazzfabrik subjektiv als zweiteilig, wenn auch nicht gespalten. Das verbindende Glied zwischen den vorwiegend in sich ruhenden Kompositionen wie „Tomorrow Sunny“, „Flash“ und „Blackbird“ mit innerer Kraft und Spannung sowie den Kompositionen mit starken ekstatischen Läufen auf dem Altsaxophon wie „A Day Off“, „Wait a Minute“ und dem abschließenden „AmbientPressureThereby“ sind die kollektiven Improvisationen  und der konzentrierte, transparente Gruppensound in Verbindung mit dem avantgardistischen Konzept. 

„Ich spiele keinen Free-Jazz“, betont Henry Threadgill in einem kurzen Gespräch vor dem Konzert. „Meine Kompositionen werden durchnotiert.“ Freitonal sind allerdings die Parts der Solisten in der ungewöhnlichen Zusammensetzung der Band: José Davila mit Tuba und Posaune, Liberty Ellman mit der Gitarre, Christopher Hoffman am Cello, Elliot Kavee am Schlagzeug sowie Henry Threadgill selbst mit Flöte, Bassflöte und Altsaxophon.

So präsentiert der Komponist mit „Zooid“ ein dynamisches Klangfarbenspiel. Die Tuba markiert neben dem flexiblen und nervös wirkenden Schlagzeug stützend und straight die rhythmische Basis, auf der Hoffman zupfend und streichend nahe an der E-Avantgarde das Cello wieder ins Ruf-Antwortspiel mit dem Gitarristen Ellman führt. Threadgill bläst in seinem Klangfarbenlabyrinth flirrend die Flöte und mit viel Vibrato die Bassflöte. Hin und wieder erklingen Flöte und Posaune zweistimmig oder gar unisono, während Posaunist Davila seine Stakkati auf dem gestopften Instrument von der Gitarre kommentieren lässt. Trotz Freitonalität fühlt der Zuhörer Wohlklang. In „Blackbird“ trommelt Elliot Kavee sanft und leise mit Klöppeln auf den fein abgestimmten Fellen und Becken bis Ellman auf der Gitarren in einem ausgedehnten Solo abgehackte Akkordreihen zupft.

Fast ruhige Stücke prägen eine freie Kammermusik, die beim späteren Spiel mit dem Altsaxophon zugunsten jazzigerer Expression aufgebrochen wird. Sowohl beim Flöten- als auch bei Saxophonspiel wird eine immanente Gefühlsbetonung hörbar, die hinter den transparenten Klangfarben steht. Dann schreit Das Saxophon auf, wird überblasen aufgeraut. Das Cello steuert schräge Harmonien bei und die Gitarre explodiert in Akkordfetzen.

Wenn Threadgill auch immer wie Threadgill klingt, kann sich mancher Zuhörer nicht des Eindrucks erwehren, dass die Mitglieder der Band zeitweilig nebeneinander her, statt miteinander spielen. Threadgill spricht von einer Form des „Intervall-Serialismus“, der es den Bandmitgliedern erlaube, voneinander unabhängig zu spielen und dennoch als Gruppe zu wirken. „Wir bewegen uns gemeinsamen und gebrauchen dabei unsere originären Ideen“.

Die Notation lässt die Stücke trotz des emotionalen Vortrags in gewissem Grad akademisch klingen. Daran mag es liegen, dass die Musik den Intellekt sofort fesselt, das Herz aber erst nach einer Weile anspricht. Direkt in die Herzen der Zuhörer auf der Hinterbühne des Rüsselsheimer Theaters gehen dagegen die Abschiedsworte des Bandleaders. Er sei bei diesem ersten und in Deutschland einzigen Konzert auf ein wundervolles und aufmerksames Publikum gestoßen. Dies sei ein hoffnungsvoller Auftakt der zweiwöchigen Tournee durch Europa.

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