Al Jarreau und Band sowie Sebastian Sternal Trio in Mainz, 2. Mai 2013

Text & Fotografie: Klaus Mümpfer

Al Jarreau singt die Songs nicht nur, er zelebriert sie. Natürlich erkennt das Publikum in „Five“ den Brubeck-Millionen-Seller „Take Five“, auch das Stimmwunder ihn musikalisch in seine harmonischen und rhythmischen Grundstrukturen, sowie verbal in Scats und Vokalisen zerlegt. Jarreau improvisiert über die deutschen Worte „eins, zwei, drei, vier, fünf“, zerbröselt die kurzen Gebilde mit einer den Kontrabass assoziierenden Tonführung. Ein wenig gebrechlich wirkt der 73-Jährige zwar, wenn er sich am Mikrofon-Ständer festzuhalten scheint, doch seine Stimme ist kraftvoll und seine Vokalartistik virtuose wie eh und je. Charmant plaudert er mit dem Publikum, fordert es zum Mitsingen auf und wirkt überrascht über die Resonanz – nicht wissend, dass dieses Konzert der Musikhochschule der Mainzer Universität, für die Gesangsstudenten eine Pflichtaufgabe ist.

Ist Singen eigentlich die richtige Umschreibung? Gewiss, in „Morning“, „Hearts“, „Come Rain“, „Easy“ oder „Double Face“ sind Wortzusammenhänge zu verstehen. Hier zeigt sich die Modulationskraft und Wandlungsfähigkeit des Sängers, der einmal mit weiblicher Zartheit, später mit männlicher Kraft, mal aggressiv rockend, mal lyrisch gefühlvoll, die Texte unterstreicht. Der Tonumfang reicht vom tiefsten Bass bis zum höchsten Flageolett. Scheinbar mühelos moduliert Al Jarreau die schwierigsten Vokalphrasen und wenn er nicht in Zwiesprache mit dem spanisch inspirierten Gitarristen John Calderon oder mit dem Saxophonisten Joe Turano mit seinen irrwitzigen Bebop-Phrasen tritt, dann geschieht dies, weil sich der Sänger von der Atmosphäre des Songs tragen lässt.
Al Jarreau und seine Band eröffnen das Konzert der Reihe „Treffpunkt Jazz“ in der Mainzer Rheingoldhalle mit Elton Johns Schmuse-Komposition „Your Song“. Doch in der Interpretation des Sängers gewinnt der Titel mit Schnalzen und Flattern neue Form und Qualität. Schließlich offenbart sich Al Jarreau als der Kehlkopfakrobat, wie ihn die Fans ihn schon immer erlebt haben und lieben. Dann zerlegt das Stimmwunder die Kompositionen gurgelnd, schnalzend, flüsternd schreiend und ächzend, spielt die gesamte Bandbreite seiner instrumentalen Stimmführung aus.

So wird in der Tat Al Jarreau zu einem der Instrumentalisten, was die Gefahr in sich birgt, dass er bei ungeschickter Mikrofonhaltung im Sound der Band untergeht. Von solchen einzelnen Missgeschicken abgesehen, stimmt die Chemie zwischen den Bandmitgliedern. Jarreau singt mal mit dem Bassisten Chris Walker im Duett, lässt Walker, Calderon und Turano beim abschließenden „Party“ als Backgrund-Sänger agieren. Drummer Mark Simmons erhält Gelegenheit zu einem ausgedehnten, rhythmisch ebenso komplexen wie vielschichtigen Solo und Keyboarder Larry Williams ist Jarreau in mehreren Stücken ein einfühlsamer Partner. Zum Schluss tanzen die begeisterten Zuhörer in dichten Reihen vor der Bühne, feierten Al Jarreau stehend wie einen Popstar frenetisch mit anhaltendem Applaus.

Mehrfach lobt der Stargast bei seinem Auftritt den „wundervollen Sebastian“, der die Konzertreihe der Musikhochschule initiierte und der mit seinem Trio den Abend eröffnete. Der frisch gekürten Echo-Preisträger Sternal spannt den Bogen vom ebenso verspielten bis klar konturierten „Coffee-Bay“ über eine noch titellose Free-Jazz inspirierte Komposition bis zum cantablen und melodiösen „Mississippi“. Sebastian Sternal besticht in der neuen Komposition mit freien Akkord-Explosionen auf dem Flügel in der Nähe der E-Avantgarde, Bassist Sebastian Klose mit schrägem Bogenstrich sowie Schlagzeuger Axel Pape mit pulsierendem Spiel auf Becken und Fellen.
Vor dem Konzert und in der Jam-Session danach beweisen die Studenten der Musikhochschule Mainz ihre kreative und künstlerische Kompetenz. Dabei besticht Sängerin mit makelloser Phrasierung, die Saxophonistin mit singenden Linien, der Pianist mit perlenden Läufen. Die ad hoc zusammengestellten Bands swingen. Zu einem Einstieg der Jarreau-Musiker kommt es leider nicht. „Wir sind bereits auf dem Weg zum Bus, der uns noch in der Nacht nach Nürnberg bringen soll“, bedauert Joe Turano, der zumindest den jungen Musiker noch ein paar Minuten aufmerksam lauscht.

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