Gewohntes und Überraschungen

Charles Lloyd

Auch bei der dritten Ausgabe vom Jazz-Art-Festival in Schwäbisch Hall haben sich unter der Regie der städtischen Kulturbeauftragten Ute Christine Berger mehrere örtliche Veranstalter zusammen getan: Der „Club Alpha 60“, der „Konzertkreis Triangel“, das in der Salzsiederstadt ansässige Goethe-Institut sowie die Landesakademie Comburg. Heraus kam eine Sammlung Konzerten mit den Länderschwerpunkten Nordeuropa, Schweiz und Türkei. Charles Lloyd (71) war der amerikanische Superstar und bescherte mit seinem Quartett ein fulminantes Konzert in der barocken Hospitalkirche, in der längst keine Gottesdienste mehr abgehalten werden, den Festivalmachern ein total ausverkauftes Haus.

Den Anfang des konzertanten Reigens machte die Vokalistin Siiri Sisask mit kreativen Instrumentalisten um den ebenfalls aus Estland stammenden und in Karlsruhe aufgewachsenen Allround-Pianisten Kristjan Randalu. Die Estin kombinierte einheimisches Liedgut mühelos mit der Jazztradition. Ohne Allüren, nur die reine Musik: Besonders beeindruckend ihre Obertonchangierungen, die in den Multiphonics von Carsten Netz auf dem, Tenorsaxofon ihre Entsprechung fanden. 

Pianist Lars Duppler ließ es mit seinem Quartett eher ruhig und ohrengefällig angehen, eine muntere Kommunikation betrieben dagegen die beiden Schweden Bobo Stenson (Piano) und Anders Jormin (Kontrabass).

Der norwegische Bandleader Helge Lien postierte den edlen Steinway-Flügel in der Bühnemitte, zu seinem Schlagwerker Knut Aalefjær links von ihm konnte er somit keinen kommunizierenden Blickkontakt halten. Rechts dann Frode Berg mit seinem voluminösen Kontrabass. Doch das bestens eingespielte Ensemble verstand sich „blind“, die Interaktionen verliefen eng verzahnt.

Von grazilen Sound-Eskapaden bis zu lieblichen Liedchen spannte sich der stilistische Bogen, ohne jedoch dann in Kitsch abzukippen. Wiederholt waren irgendwie allzu vertraute melodische und harmonische Wendungen auszumachen. Agogische Freizügigkeiten wechselten mit metrisch treibenden Stücken, mal mittelalterlich Modales, mal barocke Kontrapunktik im energetischen Rhythmus, mal impressionistische Lyrismen wie bei Debussy. 

Fremdmaterial versieht das Helge-Lien-Trio mit einer ganz individuellen Note – so „Take Five“. Gerne dämpfte Helge Lien (Jahrgang 1974) mit der linken Hand die Pianosaiten ab, und Schlagwerker Knut Aalefjær „behandelte“ Tomtoms, Bongo-Trommel und Holzbox gleichfalls sehr nuanciert. Zupfend und gestrichen integrierte sich Bassist Frode Berg in das stimmige Gesamtkonzept, das allzu virtuose Extravaganzen verschmähte. 

Dass streng komponierte Parts und spontane Improvisationen in spannungsreichem Einklang stehen können, bewiesen im Konzert zuvor die beiden virtuosen Bläser Steffen Schorn und Claudio Puntin. Die Komposition „Fasil“ der Pianistin Julia Hülsmann nach einer Textidee des Gitarristen Marc Sinan wirkte jedoch über weite Strecken doch zu sehr verkrampft. Zu viel Notenmaterial bestimmte das musikalische Geschehen. 

„Fosil“ schildert das Leben von Aisha, der geliebten Frau des Propheten Mohammmed. Auf Anregung des versierten Konzertgitarristen verfasste Marc Schiffer ein in englischer Sprache vorgetragenes Libretto, das von der Pianistin Julia Hülsmann vertont wurde. Die 1968 in Bonn geborene Pianistin trat in der internationalen Jazzszene zunächst als Begleiterin der norwegischen Sängerin Rebecca Bakken hervor, beim letztjährigen Jazz-Art-Festival gastierte sie in der Gruppe der Saxofonistin Maike Goosmann. Der Bassist Marc Muellbauer und der Schlagzeuger Heinrich Köbberling sind ihre regulären Trio-Mitglieder. Keineswegs vom Jazz her kommt die Bratscherin Lena Thies, und die Vokalistin Efrat Alony ließ in diesem Kontext kaum Swingendes vernehmen. Die gebürtige Israelin hatte in dramatisch-traurigem Gestus zumeist rezitativisch zu singen. Zuweilen fühlte man sich da an Kurt Weill erinnert.

Immerhin kamen immer wieder Momente auf mit reizwollen Interaktionen und voller Innerlichkeit. Da brillierte besonders Marc Sinan, in dessen Adern auch türkisches und armenisches Blut fließt. Da zauberte er aus seiner klassischen Korpus-Gitarre sozusagen eine arabische Oud. Der Saitenkünstler ließ durchhören, dass er in der Tradition von Andres Segovia bis Siegfried Behrend steht. Basis waren dann orientalische Skalen mit der charakteristischen übermäßigen Sekunde samt Halbtonumspielung. Schön auch die homophonen Phrasen in orientalische Manier.

Handwerklich gekonnt im Modern-Jazz-Metier agierte in einer Sonntagsmatinee das Quartett des eidgenössischen Tenoristen Christian Münchinger im altehrwürdigen Kaisersaal der Comburg. Ganz unorthodox ging jedoch in einer Nachmittagssoloperformance sein Landsmann Bänz Oester auf zwei Kontrabässen zu Werke. Vertraute Jazz- und Pop-Standards kombinierte der Schweizer gewitzt mit Klang erforschenden Stücken. Ein skurriles Einmannorchester mit viel perkussivem Beiwerk.

Korrespondierende Polyphonie in türkische Musik bringt das Trio „FisFüz“ ein. Die Gruppe mit dem komponierenden Handtrommler Murat Coskun, dem Oud-Zupfer Gürkan Balkan und der variablen Klarinettistin Annette Maye beendete das sechstägige Festival.

Sozusagen als Prolog hatte drei Wochen zuvor Hagen Kälberer in einer Uraufführung seinen Film „We remember Chet Baker“ gezeigt.

Siiri Sisak

Bobo Stenson

Helge Lien Trio

Steffen Schorn, Claudio Puntin

Marc Sinan Gruppe

Bänz Oester

Trio FisFüz

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