Eine Komposition, die aus der Intuition kommt


Alle Photos auf dieser Seite: Hans Kumpf 

Die UNO hat 2011 zum „Internationalen Jahr der Wälder“ ausgerufen, und die in Gaildorf ansässige „Graf Pückler und Limpurg’sche Wohltätigkeitsstiftung“ begeht heuer ihren 60. Geburtstag. Anlass genug, bei dem Öhringer Günther Franz Kasseckert eine klingende „Waldfantasie“ in Auftrag zu geben. Die Uraufführung findet am kommenden Sonntag, 27. November, um 19.30 Uhr im Gmünder Forum Schönblick statt.

Von Berufswegen ist Günther Kasseckert ein in Öhringen niedergelassener Psychotherapeut. Aber mehr als nur ein beiläufiges Hobby pflegt er das Klavierspielen und das Komponieren. Und dies im Prinzip alles ohne Noten. An den 88 Tasten improvisiert er gerne, und dank eines phänomenalen Gedächtnisses kann er das derart spontan Komponierte lange Zeit mental abspeichern und bei Bedarf exakt wiedergeben. Auch Mozart war mit einer derartigen musikalischen Merkfähigkeit gesegnet. 

Kasseckert beschreibt seine Vorgehensweise so: „Ich habe im Kopf eine Vorstellung und komponiere dies nach intuitiven Mechanismen, merke mir die Stücke und nehme die Stücke dann mit dem Klavier auf CD auf.“ Wie der Beatles-berühmte Paul McCartney überlässt er die genaue Instrumentation und den leidigen Schreibkram einer willigen Hilfskraft.


Kuno Schmid, 1978

Mit dem Keyboarder Kuno Schmid, der in den 70er Jahren mit der Sängerin Kitty Winter und später mit den Vokalisten Peter Horton sowie Eugen Cicero auftrat, kooperiert Günther Franz Kasseckert da gerne. Auch die zehn am Piano ausgetüftelten Teile seiner „Waldfantasie“ lieferte er bei dem nun in der Nähe von Heilbronn wohnenden Schmid ab. Dieser nahm dann Computer- und Software-Hilfe in Anspruch. Die „Vienna Symphonic Library“ mit den digitalisierten Sounds der Wiener Philharmoniker leistete dankbare Dienste. Das Arrangieren und das Instrumentieren mit sofortiger Hörprobe lassen sich zudem heutzutage ja am (Apple-)PC bewerkstelligen, sofern es sich nicht um eine avantgardistisch-komplexe Musik wie Helmut Lachenmann (vor kurzem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet!) handelt. Und auch der Papierausdruck der Partitur und der Einzelstimmen geschieht automatisch.

Eingerichtet wurde das Opus speziell für das 26-köpfige Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim unter dem Dirigat von Sebastian Tewinkel. Neben den obligatorischen Streichern kommen da eine Holzbläsergruppe, Harfe, Pauke und – wie könnte es anders sein – drei Waldhörner zum Einsatz. Kein „Mythos Wald“ ohne den Klang der für die Jäger typischen runden Blechblasinstrumente. Dies praktizierten auch schon Carl Maria von Weber in der Oper „Freischütz“ und später ausgiebig Richard Wagner und Richard Strauss.

Fragt man Günther Kasseckert nach seinen musikalischen Idolen, nennt er die beiden französischen Impressionisten Maurice Ravel und Claude Debussy und vom Jazz-Genre den voluminösen Swing-Pianisten Fats Waller und den legendären „Weather Report“-Mann Joe Zawinul. Kasseckert: „Ich kann zwei Stunden lang improvisieren, ohne dass es langweilig wird. Für mich ist Jazz etwas Unendliches!“.

Intuition bestimmt sein spontanes Musizieren mit Hintersinn, aber von Esoterik grenzt sich Psychotherapeut Kasseckert entschieden ab. Da sieht er nur Placebo-Effekte und wissenschaftlich nicht nachweisbare Behauptungen.

Dem Wald eine Sinfonische Dichtung zu widmen, bedeutete für Günther Kasseckert kein bloßer Auftrag, sondern eine wirkliche Herzensangelegenheit: „Ich selber liebe den Wald seit meiner Kindheit. Mein Vater hat mich als Vier- oder Fünfjährigen mit in den Wald genommen und mir die Ameisenhaufen gezeigt. Das war so etwas wie der Himmel auf Erden. Allein dieser Geruch von Wald und Ameisenhaufen…!“.

Der 6. Satz seiner „Waldfantasie“ ist betitelt mit „Marschierende Waldameisen“. In der Musik hört man einerseits beim Pizzicato der Kontrabässe die „Militanz“ (Kasseckert) und bei den Bläsern die wuselige „Unberechenbarkeit“ der fleißigen Tierchen. Harmonisch etwas dunkel bewegt sich das Ganze im reinen „äolischen“ Moll.

Im Dreivierteltakt ist der 3. Satz gehalten, der „Vogelwalzer“. Kasseckert erläutert: „Da musste wirklich Flöte rein. Ich dachte schon bei der Klavierfassung an die Flöte. Für den Neuanfang in der Natur musste ich den Kuckuck bringen.“ Insgesamt fühlt man sich da unweigerlich an den lieblichen Blumenwalzer aus Tschaikowskys populärem Nussknacker-Ballett erinnert. 

Die „Waldfantasie“ verharrt freilich nicht in einer vermeintlich heilen Welt nach dem Motto „Unter allen Wipfeln ist Ruh‘“. Die Suite für Kammerorchester wurde zunächst inspiriert durch den Lehrpfad „weiterweg“ bei Gschwend-Rotenhar im Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald. Dort nennt sich eine von dem Tübinger Künstler Martin Burchard aus Douglasienholz gefertigte Skulptur „Großer Tisch des Friedens“. Kasseckert bemerkt: „Das ist ein 16 Meter langer Tisch, wo sich Menschen zum friedlichen Beisammensein treffen können. Genau an dieser Stelle standen früher Pershing-Raketen, die auf Russland gerichtet waren. Meine Idee war es, die drei Nationalhymnen von Deutschland, den USA und der Sowjetunion zu nehmen und musikalisch eine Bedrohungsszenerie aufzubauen.“ Doch unmittelbar danach stellt Kasseckert in seinem Stück eine friedliche Alternative dar, und die drei zuvor divergierenden Hymnen finden zu einer harmonischen Eintracht. „Das berührt mich selbst immer wieder beim Anhören“, bekennt Kasseckert.

Das Credo von Günther Kasseckert: „Den Wald halte ich weltweit als bedrohten Lebensraum. Wald ist ein immens wichtiges Biotop und genauso wichtig wie die Weltmeere. Mich würde es sehr freuen, wenn durch die „Waldfantasie“ bei Menschen emotional erreicht würde, sich mit dem Wald auseinandersetzen. Dass sie mehr acht darauf geben, dass weitere Zerstörungen verhindert werden, dass eine bessere Welt entsteht.“
Kasseckert geht bei seiner Sympathie für die Wälder nicht nur mit Tönen, sondern auch mit Texten vor. Außer ihm steuerten noch seine Frau Jo Kasseckert und der Pückler-Stiftung-Geschäftsführer Matthias Rebel eingefügte Poesie und Prosa bei. Von Rebel stammen zudem noch Fotografien, die am Sonntag großformatig an die Wand projiziert werden. Als Vorleserin zwischen den Musikstücken wurde die Schauspielerin Miriam Brenner gewonnen.

Faszinierend wäre es freilich gewesen, das Gesamtkunstwerk bei milderen Temperaturen an Ort und Stelle eben „open air“ zu präsentieren, doch dies verhinderten logistische und finanzielle Probleme, wie Günther Kasseckert bedauert. Nun findet die musikalische Wald-Andacht eben im Saale statt. Bereits fertig produziert ist in einer Auflage von tausend Stück eine CD mit der „Waldfantasie“. Die Rezitatorin ist auf dem Silberling natürlich unverfälscht – die wie ziemlich „echt“ klingende Musik kam aber synthetisch-gekünstelt aus dem Computer.

Alles „live“ und menschlich kann man am 1. Advent um 19.30 Uhr mit Ohren und Augen im „Forum Schönblick“ des christlichen Gästezentrums Schwäbisch Gmünd (Willy-Schenk-Str. 9) erleben. Eintrittskarten können dort unter der Telefonnummer 07171 / 9707-0 bestellt werden.

Die einzelnen Titel und ihre Aussagen umreißt Günther Franz Kasseckert wie folgt:

1. Waldharmonie (Einstimmung, harmonisches Zusammenwirken, die Natur öffnet sich), 2. Märchengarten Wald (Zauberhafter Wald, der Zauber des Waldes, Wald als Ort der Mythen und Märchen), 3. Vogelwalzer (Freude, Wohlbefinden, Optimismus), 4. Im Gleichgewicht der Natur (Ruhe, Ausgeglichenheit, im Fluss des Kreislaufes der Natur), 5. Herbstkonferenz der Bäume (Vernetzung, im Herbst sammeln sich die Kräfte im bunten Spiel der Natur, um sich auf den Winter vorzubereiten), 6. Marschierende Waldameisen (Macht der Masse, Militär, Wehrhaftigkeit, Organisation), 7. Karfreitag – Ring der Dunkelheit (Abgründe, Depression, Hilflosigkeit, Tod, Trauer), 8. Himmelsleiter (Respekt vor dem Großen, Schreiten in andere Dimensionen), 9. Großer Tisch des Friedens (Hoffnung auf Vernunft, das Gute setzt sich letztlich durch), 10. Waldfest (Natur im Einklang, für den Menschen ein Grund zu feiern).

Info
www.weiterweg.info
www.graf-pueckler.de
www.schoenblick-info.de,
www.swdko-pforzheim.de 

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