LUDWIGSBURG. „Kinderkreuzzug“, „Children Song“, „Oberek“ und „W Olszynie“ – so heißen einige Stücke, die in den Ludwigsburger „Bauer Studios“ digital auf Band gebannt wurden. Bernd Konrad, Professor an der Stuttgarter Musikhochschule, bekam vom Land Baden-Württemberg finanzielle Mittel zugewiesen, um ein deutsch-polnisches Jazzensemble zu formieren. Vor einem Auftritt beim „Südpool-Sommer-Festival“ im Treffpunkt Rotebühlplatz machte das binationale Quintett diese CD-Aufnahmen, die freilich noch eine engagierte Plattenfirma suchen.
Als Stargast der Gruppe fungierte Urszula Dudziak, die mit ihrer unverwechselbaren „elektronifizierten“ Stimme weltweit berühmt wurde und einst mit Bobby McFerrin beim Projekt „Vocal Summit“ mitwirkte. Die 54jährige Polin hat New York zu ihrer Wahlheimat auserkoren, mittlerweile pflegt sie familiäre Bindungen nach Schweden. Avantgardistische Experimente, wobei die Solistin dank ausgeklügelter „live“-Elektronik homophon und polyphon mit sich selbst im Chor singen vermag, als auch verblüffende Intonationsreinheit und rhythmische Exaktheit bei konventionelleren Stücken beherrscht die versierte Künstlerin perfekt. Zwei folkloristische Lieder ihres Geburtslandes, wo sie soeben bei „Polonia Records“ die reizvolle Einfrau-CD „Malowany Ptak“ („Gemalter Vogel“) herausbrachte, steuerte Urszula Dudziak zum gemeinsamen Unternehmen bei. Bei „Oberek“ handelt es sich um einen rhythmisch verspielten Tanz im Dreivierteltakt, und die eigentlich simple Dur-Tonleiter abwärts arrangierte sie bei „W Olszynie“ („Wäldchen“) sehr lieblich und harmonisch anheimelnd. Die Baßklarinette von Bernd Konrad und das Flügelhorn von Herbert Joos gelangen mit der instrumental geführten Stimme zu einer homogenen Innigkeit im Gesamtklang.
Nach den Kinderliedern von Chick Corea und Perry Robinson komponierte nun auch Bernd Konrad einen „Children Song“. Markant ist hier eine zierliche Melodie, die gemeinsam von Konrad auf dem Altsaxophon und Paul Schwarz am Flügel vorgetragen wird. Bei dem Werk „Kinderkreuzzug“ erinnerte sich Konrad seines Stückes „Sarajevo“ und des gleichnamigen Gedichts von Bertolt Brecht. Dieses erschütternde Poem beginnt mit den Worten: „In Polen, im Jahr Neununddreißig/ War eine blutige Schlacht/ Die hatte viele Städte und Dörfer/ Zu einer Wildnis gemacht./ Die Schwester verlor den Bruder/ Die Frau den Mann im Heer/ Zwischen Feuer und Trümmerstätte/ Fand das Kind die Eltern nicht mehr.“ Den Inhalt und die Atmosphäre der Brecht-Lyrik wollte Bernd Konrad dabei nachzeichnen, musikalisch gelangte der Jazz-Professor dabei im „Teil C“, von dem in den „Bauer Studios“ gleich mehrere „Takes“ aufgenommen werden mußten, in das populäre und improvisationsfreundliche phrygische Tongeschlecht.
Daß der Schlagzeuger Janusz Stefanski in Deutschland hängen blieb, läßt sich historisch real-politisch begründen: Als am 13. Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht ausgerufen wurde, waren gerade Radio- und TV-Aufzeichnungen beim Südwestfunk und ein Clubgastspiel im Frankfurter Jazzkeller beendet. Da dem Drummer eine Tournee mit dem „Vienna Art Orchestra“ unmittelbar bevorstand, verweilte er sicherheitshalber im Westen. Inzwischen konnte sich Stefanski als zuverlässiger Partner der deutschen Jazzszene einen Namen machen. Nun wohnt der bescheidene Jazz-Leistungsträger im hessischen Millionärsflecken Königstein – und hatte somit nach Stuttgart und Ludwigsburg eine relativ kurze Anreise zu bewältigen.
An die perfekt inszenierte musikalische Dramatik des legendären Polanski-Filmkomponisten und Jazzpianisten Krzysztof Komeda erinnerte eine Komposition von Herbert Joos. Der Titel steht noch nicht fest. Soll der aus Karlsruhe stammende Trompeter sein Stück nach dem badischen Freiheitskämpfer Friedrich Franz Karl Hecker benennen, wie Kollege Konrad knitz vorschlug? Vielleicht kann man dabei auch an den polnischen General Ludwik Mieroslawski denken, der vor genau 150 Jahren den Demokraten in Deutschlands Südwesten mit militärischem Know-how helfen sollte…
Nach all der anstrengenden Noten-Arbeit gönnte sich das Ensemble als sechste Einspielung eine freie Kollektivimprovisation, wobei man die Kommunikationsfreude und die Interaktionsfähigkeit kreativ ausleben konnte. Alle fünf sind erfahrene Profis genug, um hierbei keine Verständigungsschwierigkeiten aufkommen zu lassen. Nach der Mühsal holte man sich beim gemeinsamen Abendessen neue Kraft. Ein indischer Sikh karrte für die polnisch-schwäbisch-badische Gruppe mexikanische Pizza heran…
Zu hoffen bleibt, daß sich ein interessiertes Plattenlabel findet. So würden die „Baden-württembergisch/polnische Kulturbegegnungen 1997/98“ in einer jazzenden Variante auf Tonträger verewigt werden.
(August 1998)