Ab sofort ist die Verwechslungsgefahr mit dem etablierten „Neuen Deutschen Jazzpreis“ aus Mannheim etwas geringer geworden, denn nach der diesjährigen Premiere am 3. Juni 2021 ist der „Deutsche Jazzpreis“ nicht mehr taufrisch. Ganz so neu war er ohnehin nicht, weil man ihn wohl durchaus in einer gewissen Kontinuität zum Echo Jazz sehen darf, der vor einigen Jahren weniger sanft entschlief.
Nicht schlecht für die Preisträger: mit der Finanzierung des Bundes können ordentliche Preisgelder von 10.000 pro Kategorie ausgezahlt werden. Das hat die Phono-Akademie als Interessengemeinschaft der Tonträger-Industrie seinerzeit nicht geschafft.
Geblieben ist der Versuch etwas Glanz und Glitter über die Veranstaltung zu streuen. Mit Ute Lemper aus New York (ja, tatsächlich, irgendjemand meinte, die müsste beim Deutschen Jazzpreis Teil der Jury sein) und moderierender Tagesthemenfrontfrau bei den Online Live-Schalten im Stream.
Natürlich ist ein so „hochgejazzter“ Preis immer auch eine Selbstbespiegelung der Ausrichter und im Vorfeld wurde man auf den üblichen social media Kanälen mit ausführlichen Darstellungen von Jury und Veranstaltern beglückt. Aber auch mit der Auswahl der nominierten Preisträger. Und an dieser Auswahl gab es wenig zu mäkeln: ein guter Querschnitt durch die bundesdeutsche und internationale Jazzszene, mit wenigen Ausreißern in die frei improvisierende Szene. Im wesentlichen Jazz für „Normalhörer“, wie es ein Trompeter aus Mannheim formulieren würde.
Großer Gewinner des Abends, trotzdem: Christian Lillinger. Nicht nur, weil er als wichtigster Schlagzeuger und als Künstler des Jahres geehrt wurde – er hatte noch mehr Eisen im Feuer, als Komponist und in weiteren Bands. Er hat’s verdient und trotzdem hätte niemand meckern können, wenn in der Schlagzeugkategorie Eva Klesse oder Max Andrzejewski gewählt worden wären. Sehr erfreulich ist die Wahl, weil Lillinger in den meisten Facetten seines Schaffens wenig Nähe zum Mainstream nachgesagt werden kann. Bei der Wahl der Vokalistin des Jahres war die Jury weniger abenteuerlustig, die stets gegen den Strich singende und Geräusche erfindende Almut Kühne hatte das Nachsehen gegen Lucia Cadotsch – gleichwohl eine hervorragende Wahl.
Die weiteren Instrumentalkategorien oft wenig überraschend (Aki Takase, p / Daniel Erdmann, sx – die hätten gleich im Duo spielen können!, Ronny Graupe, gt), gelegentlich dann doch – für mich angesichts der Mitbewerber / Mitbewerberinnen – überraschend (Eva Kruse, b / Markus Stockhausen, tp). Insgesamt war die Auswahl der Kandidaten vermutlich spannender und schwieriger als die Einigung auf die jeweiligen Sieger.
Zwei Musiker konnten sich übrigens jeweils über eine Doppelauszeichnung erfreuen, obwohl ihr Name ein bisschen im Geschehen untergehen könnte: Johannes Schleiermacher und Oliver Potratz. Die beiden spielen sowohl beim Andromeda Mega Express Orchestra (Großes Ensemble des Jahres) als auch bei Lukas Kranzelbinders Band Shake Stew (Band des Jahres international) – letztere hätten einen Sonderpreis für „größte Begeisterung über die Auszeichnung“ verdient gehabt.
Mich hat die Auszeichnung der Trompeterin Jaimie Branch in der Kategorie „Blasinstrumente international“ gefreut – eine der kraftvollsten Stimmen im Jazz der vergangenen Jahre, die politische Botschaften mit mit- und hinreissendem Jazz verbindet. Mit ihrer Formation „Fly or Die“ hätte sie ebenso für die Band des Jahres international nominiert werden können. So wie viele Musikerinnen und Musiker hätten nominiert werden können, aber warten wir’s ab: die kommenden Ausgaben des Deutschen Jazzpreises wollen ja auch noch mit interessanten Kandidaten besetzt werden.
PS: den ausgezeichneten Gitarristen Ronny Graupe kann man in seiner Streaming-Reihe „Into The Shed“ am 8. Juni erleben. Und mit dem Schlagzeuger Oli Steidle ist gleich ein zweiter Ausgezeichneter dabei – er trommelt in der Formation Philm.
Die Liste der Gewinner und Nominierten
Kategorie | Gewinner | Nominiert | Nominiert |
---|---|---|---|
Vokal | Lucia Cadotsch | Almut Kühne | Rebekka Salomea |
Holzblasinstrumente | Daniel Erdmann | Angelika Niescier | Wanja Slavin |
Blechblasinstrumente | Markus Stockhausen | Shannon Barnett | Nils Wogram |
Piano/ Keyboard | Aki Takase | Pablo Held | Johanna Summer |
Gitarre | Ronny Graupe | John Schröder | Andreas Willers |
Bass | Eva Kruse | Frans Petter Eldh | Robert Landfermann |
Schlagzeug/ Perkussion | Christian Lillinger | Eva Klesse | Max Andrzejewski |
Besondere Instrumente | Christopher Dell, Vibraphon | Elisabeth Coudoux, Cello | Kathrin Pechlof, Harfe |
Band des Jahres | Philipp Gropper’s PHILM | Dell Lillinger Westergaard | KUU! |
Großes Ensemble des Jahres | Andromeda Mega Express Orchestra | Hendrika Entzian + 1 | Fuchsthone Orchestra |
Blasinstrumente international | Jaimie Branch | Shabaka Hutchings | Joshua Redman |
Piano / Keyboard international | Tigran Hamasyan | Tania Giannouli | Shai Maestro |
Saiteninstrumente international | Wolfgang Muthspiel | Kinga Glyk | Christian McBride |
Schlagzeug / Percussion international | Brian Blade | Trilok Gurtu | Savannah Harris |
Band des Jahres international | Shake Stew | Shalosh | Snarky Puppy |
Album Instrumental des Jahres | Julia Hülsmann Quartet – Not Far From Here | Joachim Kühn – Melodie Ornette Coleman | Markus Stockhausen – Wild Life |
Album Vokal des Jahres | Masaa – Irade | Salomea – Bathing in Flowers | Zola Mennenöh – Longing for Belonging |
Debut Album des Jahres | Mirna Bogdanovic – Confrontation | Musina Ebobisse Quintet – Timeprints (Jazz Thing Next Generation Vol. 79) | Johanna Summer – Schumann Kaleidoskop |
Rundfunkproduktion des Jahres | Bill Laurance & WDR Big Band Cologne – Live at the Philharmonie Cologne (WDR) | Jazztime – Live vom 10. Birdland Radio Jazzfestival (BR Klassik) | Markus Becker – Thoughts about Beethoven (DLF Kultur) |
Album Instrumental des Jahres international | Carla Bley- Life Goes On | The Comet is Coming – Trust In The Lifeforce Of The Deep Mystery | Branford Marsalis Quartet – The Secret Between the Shadow and the Soul |
Album Vokal des Jahres international | Kandace Springs – The Women Who Raised Me | Elina Duni – Lost Ships | Gregory Porter – All Rise |
Debut Album des Jahres international | Joel Ross – KingMaker | Nesrine – Nesrine | Immanuel Wilkins – Omega |
Club des Jahres | LOFT (Köln) | Jazzclub Unterfahrt (München) | DONAU115 (Berlin) |
Festival des Jahres | 44. Leipziger Jazztage „Transitions“ | Jazzfest Berlin | moers festival |
Komposition des Jahres | Florian Ross – Streamwalk | Christian Lillinger – Thür | Luise Volkmann – Lush Life |
Arrangement des Jahres | Fabia Mantwill – Ophelia | Niels Klein – Yemen | Claudia Döffinger – Mercedes Benz |
Journalistische Leistung | Günther Huesmann: Bird Lives. Zum 100. Geburtstag von Charlie Parker | Habersetzer / Sampson / Spiegel: Hören wir Gutes und reden darüber | Jazz Moves Hamburg |
Lebenswerk | Karsten Jahnke | ||
Sonderpreis Jury | Unterfahrt | (wegen der aufwendigen Streams während der Pandemie) | |
Künstler des Jahres international | Tigran Hamasyan | ||
Künstler des Jahres | Christian Lillinger |
PS: Hier sind Bilder einiger der Nominierten und Gewinner aus dem Jazzpages-Fundus zu sehen.