Diesen sinusgenerierten Wellen kann niemand entrinnen. Die Vibrationen erfassen den gesamten Körper des Zuhörers, erschüttern ihn. Mit der Maus auf dem kleinen Laptop kreiert der Wiener Electronica-Künstler Sebastian Fennesz Geräusch-Collagen, in denen die urbanen Sounds der industriellen Großstadt mit den hymnisch-sakralen Klängen verschmelzen. Zwischen dem Dröhnen, Kreischen, Knarzen und Knirschen der Elektronik drängen sich plötzlich Gongschlag und Glockenklang. Rhythmische Figuren brechen den steten Fluss der einstürmenden Klangwellen auf, die der Musiker mit Loops und Echos als Ostinato-Spannungsfelder aufgebaut hat.
Schwebende Klänge in mittleren und höheren Lagen erfüllen nun den relativ kleinen Raum des „Rind“ in Rüsselsheim, setzen sich in den Gehörgängen fest wie Tinnitus. Bis dann der Soundtüftler auf der um den Hals hängenden Gitarre die Saiten anreisst, Single-Notes und Akkorde durch die Elektronik verzerrt, den Naturklang zerfasert. In solchen kurzen Passagen assoziiert der Zuhörer „Pink Floyd“, mehr aber noch Independet-Rock, in dem der Wiener Avantgardist seine ersten Erfahrungen und auch Frust erlebte.
Kritiker und Fans haben viele Bezeichnungen für diese kaum zu beschreibende Musik gefunden: Minimal Techno, Death Metal oder Dark Ambient nannten sie diese abstrakte, beat-orientierte Elektronik-Schöpfung, in der die Gitarre in die zweiten Reihe gerückt ist, nur noch als Impulsgeber für die elektronische Klangerzeugung dient, aber dennoch unverzichtbar scheint.
Die laptop-basierten Sounds scheinen aus einem anderen Universum zu kommen, vollziehen das scheinbar Unvereinbare, die Verbindung von natürlicher Urgewalt und mechanischer Techno-Power. Manchmal glaubt der Zuhörer das Herannahen eines Taifuns zu vernehmen, dann wiederum das krächzende Knallen von Maschinen. Unterdessen steht Fennesz versunken auf der Bühne und zerrt ein paar Akkorde aus den Saiten seiner Gitarre, lässt sie sich verwandeln bis sie in den Elktronik-Sounds aufgehen.
Der 46 –Jährige ist gegenwärtig einer der gefragtesten Künstler an der Schnittstelle zwischen improvisierter Musik und elektronischem Experiment. 45 Minuten währt seine erste Collage in diesem Konzert, 30 Minuten die zweite. Gegliedert sind die äußerst komplexen Klangschöpfungen allein durch Intensitätssprünge, rhythmische Einsprengsel oder Gitarren-Einwürfe.
Die Improvisationen sind namenlos, lediglich Annäherungen und Erinnerungen an Kompositionen, erläutert Fennesz. Wichtiger ist für ihn seit der Abwendung von der Rockmusik Anfang der 90er Jahre die Klangforschung fernab des Gewohnten, das Sprengen jeglicher Grenzen, die Inanspruchnahme einer radikalen kreativen Freiheit. Solcher durchaus körperlicher und emotionaler „Musik“ muss der Zuhörer mit offenen Ohren entgegenkommen.