Im Grunde ihres Wesens ist die britische Saxophonistin Barbara Thompson eine unverbesserliche Romantikerin. Mag ihre Gruppe mit dem bezeichnenden Namen „Paraphernalia“ noch so rockig auftrumpfen. Zumindest latent, meistens aber unüberhörbar, sind die ausschwingenden, lyrischen Melodiebögen Thompsons auf den Tenor-, Alt- und Sopransaxophonen über einem fast schwebenden Soundteppich, den Keyboarder Peter Lemer ausbreitet, sowie dem Rhythmusteppich des Schlagzeugers Jon Hisemann und des Bassisten Dave Ball.
Als Komponistin belebt Thompson die Ideale der siebziger Jahre des inzwischen zurückliegenden Jahrhunderts neu. Doch damals wurde die Synthese von Jazz und Rock noch bewundert und nicht hinterfragt. Wenn heute Lemer einen wabernden Syntheziser-Sound unterlegt, Geiger Billy Thompson (mit der Bandleaderin weder verwandt noch verschwägert) mit herbem, ja fast ironischem Schmelz seine vibratoreichen Melodien zufügt, dann gerät die Musik wie in „Night Watch“ mit einem Schuss Memphis-Soul auf dem Saxophon gefährlich nahe an die Grenze zum Kitsch.
Schon im Opener „Close to th edge“ hebt Barbara Thompson zu einem ihrer cantablen Läufe auf dem Altsaxophon an, spielt im leisen Mittelteil auf der Piccoloflöte zur Violine, die mit Vogelgezwitscher in die hohen Lagen steigt. Im balladesken „Smokey embrace“mit dem sonoren Saxophonton offeriert die Bandleaderin mit Hut und Sonnenbrille komödiantische Impressionen.
Typisch für „Paraphenalia“ ist der kraftvolle, komplexe Gruppenklang. Im dreisätzigen „Concerto in three movements“ finden sich ebenso wie in „Shifting sands“ solche Tutti-Breakes in einem erdigen Solo des Bassisten Dave Ball. In einem Zwischenspiel lässt Lemer das E-Piano in Romantizismen perlen, schichtet dann Akkorde zu einem Soundgebirge, die Violine fällt mit einem rasanten Solo ein, in dem mit schrägem Strich Assoziationen anJazzgeiger geweckt werden. Bass und Drums treiben groovend das Stück voran, bis Barbara Thompson mit einem expressiven und aufgerauten Lauf auf dem Tenorsaxophon eingreift. Im zweiten Satz treiben sich Violine und Sopransaxophon gegenseitig in die High Notes, während Hiseman flirrend mit den Besen über die Becken huscht. Ein melodiöses und vibratoreiches Bass-Solo wird mit ostinaten Melodiefragmenten auf der gezupften Violine unterlegt. In seinen Schlagzeug-Ausflügen mit Double-Bass-Fußarbeit und fein abgestimmten, differenzierenden Spiel der Stöcke auf Trommeln und Becken wirkt Hiseman nie aufdringlich – selbst wenn er über einem stupende durchlaufenden Bassfundament Tempo und Intensität schier grenzenlos steigert.
Hiseman ist es auch zu verdanken, dass der soundselige Überbau von Saxophonen, Keyboard und Violine nicht den Kontakt zur rhythmischen Basis verliert. Er treibt die Band vor sich her, bremst das Spiel wieder ab, untermalt die ständig wechselnden Expressionen seiner Frau mit variablem Spiel.
Diese Musik ist leicht verdaulich, aber auf einem Niveau, das diesem Begriff den negativen Touch nimmt. Das Publikum im Frankfurter Hof in Mainz weiß, was es zu erwarten hat, und feiert die Künstler stehend mit anhaltendem Applaus.