„Pflaumenblüte“ – der Titel weckt Assoziationen, die auf wundersame Weise befriedigt werden. Zarte Einzeltöne dazu eine glockenhelle Stimme, sanfte Akkordfolgen und schließlich eine jazzinspirierte Rhythmik im instrumentalen Solo ziehen die Zuhörer in ihren Bann. Ein altes chinesisches Liebeslied wird mit viel Dramatik und Vibrato vorgetragen, ist tief verwurzelt in alten Volksweisen. Die chinesische Wölbbrettzither „Zheng“, der heute der Wortteil „Gu“ für alt hinzugefügt wird, ist kein Begleitinstrument im herkömmlichen Sinn. Für Xu Feng Xia ist sie eher ein Gesprächspartner im Dialog von Stimme und Instrument. Beim Konzert der Rüsselsheimer Jazzfabrik auf der Hinterbühne des Theaters pflegt die seit 1991 in Deutschland lebende Chinesin die vielfältige Tradition ihres Heimatlandes ebenso wie die freie Improvisation des Jazz und die Harmoniebrechung der Neuen Musik.
Xu Feng Xia hat in Deutschland viel mit Musikern des Freien Jazz zusammengearbeitet – allen voran dem verstorbenen Bassisten Peter Kowald. Das spiegelt sich in manchen Stücken wider, in denen sie die Grundmelodie in schnellen rhythmischen Fortschritten ausufern lässt und in Kreisbewegungen zerfasert, zu denen sie im nasalen und manchmal schrillen Pressgesang der chinesischen Tradition zu gurren und schnurren anfängt, schnalzt und scattet, bis das sich wieder zusammenfügende Thema nach einem Bassgewitter auf dem Instrument sanft ausläuft. Da ist gar ein kurzer Einschub im Drei-Viertel-Takt und eine jazzige Improvisation zu hören. Blue-Notes ähnlich verschmiert Xu Feng Xia die Töne, indem sie die „Yan Zhu“ genannten Stege unter den Saiten der Zither während des Spiels verschiebt und neue Stimmungen schafft. Die rechte Hand verändert durch Herabdrücken der Saiten noch die Tonhöhe, produziert Slide-Effekte. Schließlich lässt Xu Feng Xia zur Unterstreichung ihrer Vokalisen noch die Saiten des Instruments mit Slap-Effekten auf die Stege knallen. Schließlich hat die Künstlerin noch eine Percussionstechnik des Handballenspiels auf den angerissenen Saiten entwickelt, in der Melodie und Rhythmus untrennbar verschmelzen.
Eher der europäischen Avantgarde verpflichtet als China und Jazz, ist schließlich eine Improvisation mit dem Violinbogen auf der Guzheng – mit Kratzgeräuschen, Skalen in kreisenden Strichen, Melodiefragmenten.
Vor allem aber ist es der Wechsel zwischen besinnlichen Melodien und dramatischen Arpeggien, der den Zuhörer in Bann zieht. Diese auf- und absteigenden Tonfolgen im Harfenklang in Verbindung mit percussiven Wellen – wie sie schon in der südchinesischen Tempelmusik gepflegt wurde – und ihr zeitweilig sirenenhafter Gesang (im übertragenen wie im wörtlichen Sinn) üben eine geradezu magische Wirkung aus. Vor allem dann, wenn Xu Feng Xia noch indische und mongolische Elemente in ihre Mixtur aus höfischer chinesischer Musik und den Volksweisen aus verschiedenen Provinzen einbezieht. So klingt „Weltmusik“ im besten Sinn.