Marc Ribot´s „Sun Ship“ in der Rüsselsheimer Jazzfabrik, 4. November 2010


Fotos und Text: Klaus Mümpfer / Bild: Marc Ribot

Zu Zeiten, in denen Marc Ribot in der New Yorker Jazzszene Fuß fassen wollte, da mochte er unbedingt swingen, doch er wusste nach eigenem Bekenntnis nicht, wie er dies anstellen sollte. Seitdem sind Jahrzehnte vergangen, in denen der Künstler vieles aufgesogen und neu geformt hat: Blues, Kuba, Trip-Hop, Punk, psychedelic Rock und Free-Jazz. Die Gleichzeitigkeit aus kreativer Virtuosität und scheinbarem Dilettantismus wurde zu einem Markenzeichen für sein Gitarrenspiel. Obwohl er Linkshänder ist, spielt Ribot ein Rechtshänderinstrument, gleicht dieses mögliche Handicap mit seiner eigenwilligen Spielweise aus. „Wenn man mich erkennt, mache ich etwas falsch“, hat der Gitarrist einmal in einem Interview erklärt. Doch gerade diese Saitentechnik ist es, die ihn unverwechselbar macht.
 Skurrile Ironie prägt auch Ribots Bearbeitungen von Stilen und Genres, von Klassikern sowie seiner eigenen Kompositionen. Einem Interviewpartner, der ihn um Rat für seine Gitarrenübungen fragte, gab der Künstler zur Antwort: „Wenn Du das Plektrum im Mund hast, solltest Du es lieber in die Hand nehmen.“ Derzeit ist der Gitarrist mit seinen Quartett „Sun Ship“ unterwegs und begeisterte bei einem der beiden Deutschland-Konzerte in der Rüsselsheimer Jazzfabrik, wo sich die Zuhörer zwei Zugaben erklatschten.

„Sun Ship“ ist John Coltranes gleichnamiger Einspielung vom August 1965 gewidmet die allerdings erst nach dessen Tod veröffentlicht wurde. Aus „Sun Ship“ stammen auch die meisten der Stücke dieses denkwürdigen Konzertes: „Ascent“, „Dearly Beloved“, „Amen“ sowie der Titelsong. Manchmal weist die hymnische Basis auf das Original hin, die Ribot trotz der völlig anderen Instrumentalisierung ohne Saxophon, aber mit einer zweiten Gitarrenstimme neben Bass und Schlagzeug zu zaubern vermag. Charakteristisch für die Interpretationen der Coltrane- wie der eigenen Kompositionen sind gewollte Brüche, Gegensätzlichkeiten von Melodie und freier Improvisation sowie von sanftem Wohlklang und schreienden Eruptionen. Viele Stücke an diesem Abend werden mit zarten Single-Notes oder sanften Akkordfolgen eingeleitet um im Mittelteil in ein kollektives Crescendo zu münden, bevor das Quartett gegen Ende wieder zum Thema zurückkommt. Manchem swingt das Quartett klassische, dann wiederum gerät das verfremedte Thema chaotisch aus den Fugen.  

Mit Mary Halvorson hat Ribot eine so sensible und virtuose Partnerin gefunden, dass ihm der Rollenwechsel in Stimmführung und Begleitung leicht fällt. Nahezu nahtlos geschehen diese Wechsel, bei denen der eine das Thema mit akzentuierten Notenlinien vorgibt, während der andere dazu glissandierende Akkordläufe aus den Saiten reißt oder wie die Gitarristin mit den Fingernägeln die Metallsaiten entlang fährt und zum Vibrieren bringt. Hin und arbeitet Ribot energisch die Melodie mit hartem Plektrum Note für Note ab und scheint in das Instrument kriechen zu wollen, ein anderes Mal zupft erzarte und helle Tontrauben unterhalb des Steges. Manche Themen werden mit kindhafter Schlichtheit vorbereitet, um dann mit steigender Intensität und Kraft zu einem pulsierenden, sich ständig verdichtenden Kollektiv zu führen. Repetitionen nutzen die Gitarristen und der Bassist, um weite Spannungsbögen zu schlagen. „Energie“ eines der Schlüsselwörter für Ribot´s Spiel.

In diesem polyrhythmischen Groove legt Drummer Chad Taylor selbst im freien „pulse“ mit fehlerlosem Time-Spiel die Basis. Bassist Jason Ajemian lässt sein mächtiges Instrument in den langsamen wie den Up-Tempo-Passagen straight marschieren, zeigt in den Soli sowie in gestrichenen Einleitungen überraschende Harmonievariationen und Verzierungen entlang des Themas. Dann knarzt und schreit der Bass unter dem Bogen. 

Mit kurzen Handbewegungen signalisiert Ribot den Partnern, dass die eine Phrase wiederholen oder ausklingen lassen sollen, gibt ihnen Zeichen für Einsätze und Überleitungen. Doch der Zuhörer hat den Eindruck, dass dies eigentlich nicht nötig wäre.

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