Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Mit Monk, Coltrane und Dolphy in den Tiefen des Archivs
Die Library of Congress in Washington als größte amerikanische Bibliothek verfügt über eine riesige Sammlung an Soundmaterialien des Jazz und zugleich über eine Unzahl an Briefen, Noten, Fotos und persönliche Manuskripte berühmter Musiker. Beim „1. Mainzer Jazzgespräch“ in der Hochschule für Musik standen diese beiden bedeutenden Bereiche der Forschung im Mittelpunkt der Berichte von Larry Appelbaum und Wolfram Knauer. Gemeinsam erzählten sie von der Bedeutung der Musikarchive für Studium, Forschung und Praxis.
Appelbaum, Senior Music Reference Specialist der Library, berichtete anschaulich von der Spurensuche in den drei bis vier Millionen Tondokumenten. So erzählte er von seiner Entdeckung der Tonbänder, die ein Konzert des Thelonious Monk Quartetts mit John Coltrane in der Carnegie Hall im Jahr 1957 dokumentieren. Der Referent erklärte den zahlreichen Zuhörern, warum diese Bänder ein Vierteljahrhundert unbeachtet in den Tiefen des Archivs schlummerten. Ihre Entdeckung machte Furore in den Medien bis die Einspielung von Blue Note Records auf CD und LP im Jahr 2005 veröffentlicht und kommerziell genutzt wurde. „The music sells“, bilanzierte Appelbaum.
„Coltrane als Begleitmusiker des Pianisten Monk ist auf drei Stücken zu hören“, kommentierte Appelbaum amüsiert. Der Musikwissenschaftler weiß, wovon er spricht. Er konnte für die Bibliothek in den zurückliegenden Jahren Sammlungen und Nachläse unter anderem von Max Roach, Ella Fitzgerald, Charles Mingus, Gerry Mulligan, Billy Taylor, Charlie Barnet und vielen anderen erwerben. „Wir arbeiten in der Hoffnung, eine weitere Box zu öffnen und Schätze zu finden“, betonte der Referent.
„Mehr und mehr nutzen Forscher und Studenten Archive und Bibliotheken, um die „geheimen Codes“ zu entschlüsseln, die das kreative Schaffen der Künstler verständlich machen und auf denen der Jazz basiert“, erklärte der Gast aus Amerika. Und so stand der Abend in Mainz auch unter dem Motto „Mit Monk, Coltrane und Dolphy in den Tiefen des Archivs“.
Den anderen Aspekt der faszinierenden Detektivarbeit mit Hilfe der Dokumente und Noten beleuchtete Wolfram Knauer, Leiter des renommierten Darmstädter Jazzinstituts. Er durfte mit Erlaubnis Appelbaums, die vor einem Jahr erworbene Sammlung aus dem Nachlass des 1964 verstorbenen Bassklarinettisten und Komponisten Eric Dolphy durchforsten. Am Beispiel von Notenskizzen und Lead Sheets zu drei Stücken des legendären Albums „Out of Lunch“ ließ Knauer das Publikum nachvollziehen, „wie wichtig solche Skripte für das Vergänglichste in der Jazzmusik – nämlich die Improvisation – sind.“
Im Small-Talk auf dem Sofa im Roten Saal der Musikhochschule diskutierten die beiden Referenten über Probleme bei der Forschung, der Auswertung von Sound- und Wortdokumenten sowie der Respektierung von Urheberrechten. Ein Musterbeispiel dafür, wie eng die hohe Kunst mit dem Musikgeschäft verbunden ist. Appelbaum berichtete von der Missachtung solcher Regeln am Beispiel des Nachlasses von Max Roach und Knauer fasste das Ergebnis in einem Appell an die Studierenden im Saal zusammen: „Sichtet und forscht, beachtet die Rechte und spielt – euer eigenes Ding“.
Um den Zuhörern einen akustischen Eindruck zu vermitteln, interpretierte das Quartett des Saxophon-Dozenten Thomas Bachmann mit dem Pianisten Lukas Ruschitzka, dem Bassisten Eduardo Sabella und dem Schlagzeuger Julian Camargo Dolphys Titelstück „Out of Lunch“, „Trinkle Tinkle“ aus dem Konzert von Monk und Coltrane sowie Monks „Rhythm a Ning“.
„Die Mainzer Jazzgespräche soll die Theorie im Dialog mit der Praxis fördern“, formulierte zur Einführung Professor Sebastian Sternal, der gemeinsam mit Dr. Knauer die Reihe konzipierte. Sie entstand in der Kooperation der Hochschule für Musik, der Abteilung Musikwissenschaft an der Universität Mainz sowie dem Jazzinstitut Darmstadt und wird von der Strecker-Stiftung gefördert. In der thematischen Ausgestaltung hatte Knauer freie Hand. Am 18. Juni geht es mit Professor Daniel Martin Feige um „Philosophie und Jazz“, im Herbst um „Gendering“ unter Mitwirkung von Jazzmusikerinnen. „Schließlich geht es bei der Beschäftigung mit dem Jazz nie einzig um die Musik, sondern immer auch um gesellschaftliche, politische, philosophische, soziologische und ästhetische Fragen“, betonte Sternal. Appelbaum stimmte ihm zu, als er erklärte, dass viele Besucher der Library of Congress sich beispielsweise für das politische Umfeld der Black-Power-Bewegung interessieren.