Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Jugenderinnerungen
Ist es die Reife und Abgeklärtheit des Alters oder ein Zug Wehmut? „Hilft es Ihnen, zu wissen, dass ich 1951 geboren wurde“, fragte Bill Frisell vor der Vorstellung seines Projektes “Guitar in space age“ in New York – ein Programm, mit dem er zu jenen Jahren, ihrer Musik und Künstlern zurückblickt, die ihn damals inspiriert haben. Pete Seeger, die Beach Boys, das verträumte „Surfer Girl“, das epische „Tired of waiting for you“, das schimmernde „Tun, Turn, Turn“. Surf, Blues, Bluegrass und Rock´n Roll. Viele Melodien klingen trotz Verfremdung vertraut und wecken Erinnerungen.
So steht ein älterer Mann auf der Bühne der ausverkauften Rüsselsheimer Jazzfabrik, hält seine geliebte Fender Stratocaster in den Händen, lächelt seinen Mitmusikern Greg Leisz an der Pedal Steel Guitar und der Gitarre , dem Bassisten Tony Scherr und dem Schlagzeuger Kenny Wollesen zu, reißt mit dem Plektrum messerscharfe und zugleich transparente Single Note-Linien aus den Saiten, produziert Läufe rasender Notenfolgen mit den Fingern der rechten Hand, die sich unter den gleißenden Glissandi der linken ducken, während seine Maskottchen, zwei kleine Elche, frech unter einem Lautsprecher hervorlugen. Er sei zum vierten Mal Gast bei der Jazzfabrik, erzählt Stephan Dudek, der künstlerische Leiter. „Und jedes Mal mit einem völlig unterschiedlichen Programm“.
Bill Frisell zählt ohne Frage zu den besten und einflussreichsten Gitarristen der Welt Zu hören ist dieses Mal eine Musik, die inhaltlich und klanglich autobiografische Züge aufweist. Und dennoch: „Ich schwelge nicht in Nostalgie, sondern mache deutlich, dass man nie auslernt – vielmehr ein festes Fundament braucht“, sagt der Künstler.
Den Gitarristen Frisell erkennt man auf Anhieb. Sein unverwechselbares, individuelles Spiel bleibt erhalten, auch denn er wie ein Chamäleon in stilistische Rollen vom freien Jazz bis zu eben der Gitarre im Space Age schlüpft. In seinem Rüsselsheimer Konzert hört das Publikum fasziniert ruhige und getragene, melodische und lyrische Stücke neben nahezu orgiastischen, treibenden und lauten Passagen. Beeindruckend ist Frisells Präzision im Stakkato-Spiel, sein sparsamer und dennoch nicht überhörbarer Einsatz der Elektronik von Echo und Hall bis zu den Loops. So kontrastieren flächige Sounds mit akzentuierenden Single-Notes, Power-Passagen mitkunstvoll ziselierten Läufen. Flexibler Unterstützer ist Schlagzeuger Wollesen mit seinen blauen Besen und den Sticks, der einmal zu ostinaten Gitarren-Akkorden ein vielschichtiges Solo trommelt, meist aber relaxte Beats schlägt. Soundprägend kristalliert sich neben Frisell Greg Leisz an der Steel Guitar heraus, der er Zwitschern und schwebende Klänge wie in “Bryant´s Boogie“ oder dem „Cannonball Rag“ entlockt. Später greift er zur zweiten Gitarre und zupft mit dem Leader Ruf-Antwort-Spiele. Oftmals nehmen Leisz mit der Gitarre und Bassist Scherr eine Melodie auf, die Frisell aus einem filigranen Lauf mit dunklen Akkorden formt, während Wollesen einen Takt vorgibt, der in die Füße geht. Bill Frisell verwandelt jede Melodie in eine Kunstform, zieht klanglichen Reichtum aus einer scheinbar einfachen Akkordstruktur.
Zum endgültigen Finale der vom Publikum vehement geforderten Zugabe lässt Leisz nach einer eher balladesken Passage die Steel Guitar-Saiten unter einem Induktions-Tonabnehmer zu einem Glissando-Lauf Frisells kreischend aufschreien. Es ist zwar kein Brachial-Sound wie ihn Frisell in seiner Zeit mit John Zorn produzierte, aber nahe dran.