Absinto Orkestra mit Gitarrist Joscho Stephan in der Rüsselsheimer Jazz-Fabrik, 8. Dezember 2011

Text: Klaus Mümpfer / Fotos: Edition Salzgeber

Es bleibt kaum eine Spur von der lasziv gedehnten Melodie des Ellington-Hits „Caravan“. Das Absinto Orkestra und der Gitarrist Joscho Stephan treiben 75 Jahre alte Komposition unerbittlich im schnellen Rhythmus voran, lassen die Karawane durch das Rüsselsheimer Theater rasen, wo die Band und ihr Gast an der Solo-Gitarre in einem mitreißenden Konzert das Jubiläumsjahr zum zehnjährigen Bestehen abschließen. Eine andere Komposition trägt den Titel „No more Klezmer“. Er könnte ironisch aufgefasst werden, denn der melodische Verlauf, die Stimmung und die „Hej, Hej“-Rufe der Musiker kommen der traditionsreichen Musik osteuropäischer Juden und Roma entgegen. „Auch eine Violine kann lachen und weinen“, versichert Gitarrist und Moderator Stefan Ölke. Das Absinto Orkestra greift auf vielfältige Weise Klezmer, Tango, Blues, Musette, Swing des legendären Django Reinhardt sowie Balkan-Folklore der Sinti und Roma auf, verarbeitet die Versatzstücke zu einer eigenständigen Musik. Kompositionen wie der „Absintango“ oder „Der blonde Zigeuner“ sind zugleich Selbstcharakterisierungen der Band mit dem Bassisten und Sänger Hans Bender, dem Perkussionisten Clinton Heneke, dem Geiger Jolly Reinig sowie den Gitarristen Stefan Ölke und Joachim Schappert. Eine CD des Absinto Orkestras trägt den Titel „Gadje“ – eine Art Ehrenbezeichnung, die anerkennt, dass auch „Gadje“, wie die Romanes Menschen nennen, die nicht zum Volk der Sinto und Roma gehören, deren Musik spielen können. 
Der Gitarrist Joscho Stephan ist ein fantastischer Virtuose, der sich in seinem eigenen Ensemble hin und wieder zur Betonung der schier unglaublichen Technik in den Hochgeschwindigkeitsläufen hinreißen lässt. In diesem Konzert der Jazz-Fabrik füllt er die Kompositionen des Absinto Orkestras mit gefühlvollen, sensiblen und melodischen Soli aus, bleibt selbst im rasanten mozartschen „Rondo a la turca“, einem Paradestück für Gitarristen, hochmusikalisch inspiriert. Er muss nichts mehr beweisen. Seine transparenten Läufe mit Single-Note-Ketten verziert Stephan mit Arpeggios und Vibrato, erzeugt Spannung mit aufsteigenden Akkordfolgen und lässt sich mit dem Geiger in leise Duos ein. In „Yag Bari“ erhält Heneke Gelegenheit zu einem langen Percussions-Solo und Bassist Bender schmachtet als Sänger in den Liedern mit deutschem Text. Für Balkan- und Zigeunerstimmung sorgt neben Stephan vor allem Reinig auf der Violine, die er in schnellen Tänzen zupft oder in gefühlvollen Kompositionen mit Schmelz streicht, während Ölke von der Rhythmusgitarre zur Mandoline wechselt.  
Wer mit dem Gitarristen Joachim Schappert vor dem Konzert verfolgte, wie viele Besucher grüßten, der musste den Eindruck gewinnen, dass mindestens zwei Drittel der Zuhörer in der gut gefüllten Theater-Backstage zum Freundeskreis der Band zählt. 
Geboren aus der Kernzelle der beiden Gitarristen Jo Schappert und Stefan Ölke, die sich vor allem der Musik Django Reinhardts und Stephane Grappellis verschrieben hatten, war das Orkestra 2001 anlässlich der Theaterproduktion „Vogels Hochzeit“ durch die Ergänzung mit Akkordeon, Geige, Klarinette, Schlagzeug und E-Bass gebildet worden. Das musikalische Spektrum wurde in der Folgezeit in Richtung osteuropäischer Roma-Musik erweitert. Nach einigen Umbesetzungen spielte das Orkestra 2004 für eine „Alice im Wunderland“-Produktion des Theaters Erlangen. Zwei Jahre später nahm die Band ihre Debut-CD „Schwarze Augen“ auf und schritt mit der Musik auf der CD „Gadje“ auf dem Weg des Ethno-Folk-Jazz konsequent weiter. Die illustre Gästeschar mit dem Jazz-Klarinettisten Claudio Puntin, der „Klezmer-Queen“ Irith Gabriely und Almut Ritter von „Paddy goes to Hollyhead“ waren Meilensteine auf diesem Weg. Und nun ist es der Gitarrist Joscho Stephan, in dem Kritiker die „Zukunft des Gypsy-Swing“ sehen, mit dem das Absinto Orkestra in der Jazzfabrik das Jubiläumsjahr abschließt. 

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