Wolfgang Sandner
Das Phänomen Keith Jarrett lehrreich und unterhaltsam analysiert
Wolfgang Sandner verfasste eine aufschlussreiche Biografie über Keith Jarrett. Im Rahmen des vorösterlichen Jazzfestivals las der 73-jährige Frankfurter daraus in der Haller Goethe-Mensa. Für die „live“-Töne sorgte an den Tasten Christof Sänger.
Nicht zum ersten Mal wurde auf das Jazz-Art-Festival mit einem Prolog der literarischen Art eingestimmt. Zur zehnten Ausgabe des Festivals von Schwäbisch Hall stand da der amerikanische Pianist Keith Jarrett im Fokus – geboren an einem wahrhaft historischen Datum (welches ja alle Nachkriegsdeutschen bestens kennen): 8. Mai 1945.
Als Wolfgang Sandner (Jahrgang 1942) noch beim Mainzer Schott-Verlag arbeitete, kannte man ihn bereits als einen akribisch vorgehenden Musikwissenschaftler, der keine Schludrigkeiten durchgehen lässt. Seine Redakteurstätigkeit in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung festigte sein Renommee als ein akribischer Analytiker, der die Musik eingebettet sieht in den gesamtkulturellen und gesellschaftspolitischen Kontext.
So macht er auch das Phänomen Keith Jarrett, der im Vorjahr runde 70 wurde, in einer im Rowohlt-Verlag erschienenen Biografie verständlich. „Es gibt einfachere Dinge, als eine Biografie zu schreiben über einen Künstler, der noch lebt – Tote können sich nicht wehren“, bekannte Sandner zu Beginn der sehr gut besuchten Veranstaltung in der Mensa des Goethe-Instituts.
Die „Star-Allüren“ des Virtuosen, der als Wunderkind mit klassischer Musik begann, erklärte Sandner mit schwierigen familiären Verhältnissen, einem unerbittlichen Rückenleiden und schließlich mit einem chronischen Erschöpfungssyndrom. Außerdem extemporiere Keith Jarrett eine hochkomplexe Musik, die vom Künstler (und eigentlich vom Publikum) allergrößte Konzentration abverlange – da nerven eben asoziale Hobbyfotografen und ständige Hüsteleien…
Natürlich ging Wolfgang Sandner auf das berühmte „Köln Concert“ von Anfang 1975 ein. Schlechter Flügel, enormer Tournee-Stress – die Vorzeichen standen nicht gut. Aber Keith Jarrett schuf ein Meisterwerk, das bei der Münchener Plattenfirma ECM zum weltweit am häufigsten verkauften Solo-Album des Jazz erwuchs.
Die Musik zur Lesung kam an dem Abend nicht aus der digitalen Retorte, sondern wurde zum eindrucksvollen “live“-Erlebnis. Christof Sänger hat schon in New York, Südamerika und Japan gespielt und dem ersten Pianojazzvirtuosen, nämlich Art Tatum, eine Schiebe gewidmet. Jetzt interpretierte der Wiesbadener auf seine ganz eigene Art und Weise etliche („erimprovisierte“) Kompositionen von Keith Jarrett als auch vertraute Jazz-Standards sowie Barockes von Johann Sebastian Bach, der ja eine Inspirationsquelle von Jarrett bleibt.
„In den 70er Jahren war Keith Jarrett der erfolgreichste Jazzmusiker überhaupt“, rekapitulierte der in Marburg lehrende Professor Sandner. Und Jarrett-Fans seien beispielsweise auch der legendäre Dirigent Sergiu Celibidache sowie der Literatur-Papst Marcel Reich-Ranicki gewesen.
Wolfgang Sandner: Keith Jarrett – Eine Biographie. ISBN: 9783871347801, Rowohlt