Jazz bei den Donaueschinger Musiktagen 2016

Foto: Kumpf

Text und Fotografien: Hans Kumpf

Belgien, Südkorea und die ganze Welt

Nicht nur bei der obligatorischen NOWJazz-Session in der Sporthalle der Gewerblichen Schulen hörte man bei den diesjährigen Donaueschingen Musiktagen zuweilen Swingendes, sondern auch auf den anderen „klassischen“ Konzertpodien. So manche Komponisten vereinnahmten dabei Jazz und vor allem Hard-Core-Rock.

Mit einem ohrengefälligen Free Jazz im Duo-Format startete die von Julia Neupert (SWR-Jazzredaktion, Baden-Baden) organisierte Samstagabendveranstaltung. Der belgische Avantgarde-Veteran Fred van Hove, der schon 1971 in der damaligen Viehversteigerungshalle bei Krzysztof Pendereckis vielbeachteter Uraufführung der jazzorchestralen „Actions“ in die Tasten griff, tat sich nun mit der 45 Jahre jüngeren Vibraphonistin Els Vandeweyer zusammen.

Vandeweyer Foto Kumpf

Eine dreiviertelstündige Dauerimprovisation im Hochgeschwindigkeitstempo. Am Flügel agierte der 79-jährige van Hove äußerst vital, während er ansonsten mittlerweile doch sehr vom Alter gezeichnet ist. Dank dauergedrücktem rechtem Pedal erzeugte er auf dem Steinway wie das Mallet-Instrument weiche Klänge, bei denen Tonalität und Atonalität keine Alternative bildeten, sondern als Einheit eine wohlige Harmonie eingingen. Und mitunter ließ Fred van Hove mal eine swingende Blues-Phrase einfließen.

Stets aktionistisch verhielt sich seine ebenfalls aus Belgien stammende Partnerin. Oft wechselte Els Vandeweyer die Schlegel, um die Vibraphonplatten mit hartem und weichem Filz oder auch nur mit blankem Holz zu traktieren. Außerdem präparierte sie wie John Cages Pianist David Tudor das Instrument mit Ketten und weiterem Metallmaterial, um schnarrende Sounds zu erzielen. Schließlich bediente die Virtuosin simultan mit der rechten Hand ein paar Perkussionsinstrumente.

Kumpf Foto

Der zweite Konzertteil war der 1975 in Südkorea geborenen Cellistin Okkyung Lee gewidmet. Eigens für Donaueschingen konnte sie ein internationales Septett zusammenstellen und die Komposition „Steel Flower Bird“ fertigen. Asiatische Kunstmusik, Jazz (den sie an der Berklee College of Music in Boston studierte) und die europäische Musiktraditionen bringt Okkyung Lee locker in Einklang. Notierte Parts werden immer wieder als markante Eckpunkte integriert, ansonsten dominieren doch einfühlsame Duette kreuz und quer das globale Geschehen der musikalischen Art.

Chang - Foto Kumpf

Den Anfang machte eine kurze koreanische Weise der Vokalistin Song-hee Kwon; zum Ende der knappen Stunde Musik wurde chaotischer Bruitismus produziert, schlagartig gefolgt von einem beruhigenden Wiegenlied. Dazwischen gingen die einzelnen Interpreten kreativ und beherzt zur Sache. Unerhörte filigrane Sounds, luftig und säuselnd, entlockte der Engländer John Butcher seinem Sopransaxophon, um auf dem Tenor dann kräftig zu röhren. Sein Landsmann John Edwards ließ sich auf dem Kontrabass offensichtlich von orientalischen Streichinstrumenten inspirieren. Bestens korrespondierten die beiden Perkussionisten miteinander: Ches Smith aus den USA und Jae-hyo Chang aus Südkorea. An elektronischen Geräten waltete eher im Background der 1974 in Norwegen geborene Lasse Marhaug. Im Mittelpunkt und auch optisch ins rechte Licht gerückt die Komponistin mit ihrem Violoncello. Insgesamt eine spannungsreiche Angelegenheit, bei der Langeweile eben ein Fremdwort blieb.

Nicht nur in der eidgenössischen Jazzszene ist der Drummer Lucas Niggli bestens bekannt. 2006 trat er in Donaueschingen beim regulären Jazzkonzert auf, heuer wirkte er im rockigen Quartett „Steamboat Switzerland“ mit, das zusammen mit dem renommierten Klangforum Wien agierte. Die „seriösen“ Komponisten Bernhard Gander und Michael Wertmüller erlaubten in ihren UA-Werken motorische Rhythmen als auch Jazzanklänge. Da meinte man, wiederholt die gestopfte Miles-Davis-Trompete im akustischen Silberglanz zu vernehmen. Und handfest improvisiert wurde ebenfalls. So manche akademische Interpreten können’s heutzutage auch jazzig.

Niggli - Foto Kumpf

Der weiße US-Komponist Nathan Davis, nicht zu verwechseln mit dem 1937 geborenen afroamerikanischen Saxophonisten gleichen Namens, schrieb für Streichquartett und Elektronik das 16-minütige „Echeia“, ein Stück mit so manchen Jazzelementen rhythmischer und melodischer Ausprägung.

Auch im durch die Zwangsfusion entstandenen neuen „SWR Symphonieorchester“ geriet nunmehr Populärmusikalischen nicht zum absoluten Fremdkörper. In „Twist“ des Franzosen Franck Bedrossian drehte es sich beim feierlichen Abschlusskonzert auch um Jazz.

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