Das JazzArt-Festival in Schwäbisch Hall im Spagat zwischen U und E


Alle Photos auf dieser Seite: Hans Kumpf 

Unterhaltend Ernsthaftes bot das 2007 zum ersten Mal durchgeführte Jazz-Art-Festival, bei dem in Schwäbisch Hall unter Federführung des städtischen Kulturamts noch der einheimische Jazzclub, der „Konzertkreis Triangel“ und das örtliche Goethe-Institut als gemeinsame Veranstalter fungieren. Schon vor den fünf Festivaltagen war man erpicht darauf, im Rahmenprogramm die jungen Leute anzusprechen. Und in den Hauptkonzerten wurden Pop-Songs, mit und ohne zeitgeistigen Rhythmen, nicht verschmäht, ohne sich beim Publikum plump anzubiedern.

Der umtriebige Ulmer Trompeter Joo Kraus huldigte mit seinem Ensemble (diesmal Valerie Kühler am Piano, Markus Bodenseh am Bass und der bewährte Torsten Krill am Schlagzeug) vor allem Michael Jackson. Die Lokalgazette titelte über den Auftritt von Michael Wollny aus „Mainhattan“ in der Bausparkassen-Gemeinde am Kocher gar „Punker am Piano“. Tatsächlich haute der Frankfurter bei seinem em-Trio (Eric Schaefer am Schlagzeug und ersatzweise Tim Lefebvre aus Los Angeles am Bass) wild in die Tasten – in diesem Fall kaum etwas von romantisch-impressionistischer Leisetreterei. Im Publikum saß übrigens der neue Staatssekretär im baden-württembergischen Kunstministerium. Seit Jahrzehnten verbindet den „Grünen“ Jürgen Walther mit dem Oregon-Gitarristen Ralph Towner eine enge Freundschaft, und auch als Regierungsmitglied ist er weiterhin jazzorganisatorisch tätig. Wayne Shorter (Jahrgang 1933), den Walter als den Jazzmusiker des 21. Jahrhunderts bewertet, kommt so am 17. Juli zu der festlichen Premiere eines Dokumentarfilms nach Stuttgart.

In der „Squeezeband“ des eidgenössischen Perkussionisten Reto Weber lieferte der Italiener Nino G. eine fantastische Beatboxer-Show ab – vehemente Techno-Rhythmen, wirklich human kreiert. Mit dabei der routinierte Amerikaner Chico Freeman am Sopran- und Tenorsaxophon sowie als rappender Vokalist, aus Martinque Michel Alibo mit bundloser Bassgitarre sowie der gewitzte holländische Pianist Jasper van’t Hof, der sich mit viel Notenblättern in das diffizile Repertoire der „Squeezeband“ einzuarbeiten hatte.

Eröffnet wurde das Festival durch Greetje Kauffeld, einst ein Schlagerstar mit „Wir können uns nur Briefe schreiben“. Jetzt schlug die 73-jährige Niederländerin das „American Songbook“ auf und gefiel sich als sorgfältige Jazz-Sängerin, freilich ohne improvisierte Scats. Solche kamen allerdings vom Chef des deutschen Begleittrios, dem versierten Gitarristen Jörg Seidel.

Als Mitte April letzten Jahres die rheinische Formation „Three Fall“ bei der Veranstaltungsreihe Haller „Jazztime“ aufspielte, kamen nur wenige Zuhörer. Diese aber feierten schlussendlich die Neusser Newcomer-Band euphorisch. Bis zur Empore füllte sich jetzt die Hospitalkirche, und der knackige Sound, der ungeniert auf Jazz-Tradition und zeitgeistigem Hip-Hop zugreift, überzeugte wieder enorm.

Kunstvoll arrangiert sind die überaus groovenden Stücke, die vielfach von den “Red Hot Chili Peppers“ adaptiert wurden. Ein unkonventionell instrumentiertes Trio mit zuweilen orchestraler Klangfülle, die durch natur-akustische Tricks der beiden Bläser oder mit elektronischen Hilfsmitteln herbeigeführt wird. Zuweilen liefern sich Lutz Streun (Tenorsaxophon und Bassklarinette) zur Linken und Til Schneider (Posaune) zur Rechten wie in der gleichnamigen Komposition des Avantgardisten Mauricio Kagel ein „Match“, bei dem der Schlagwerker als fairer Schiedsrichter fungiert. Sebastian Winne meisterte seine Aufgabe ohne zu poltern und mit Rhythmusfeingefühl. Aber dann erfolgten auch kooperative Aktionen, alles auswendig, äußerst vital, lässig und in pointierter Perfektion. Und immer fügen sich in die akribisch ausgearbeiteten Nummern energische Improvisationen ein. Man konzentriert sich auf das Wichtigste, kein musikalisches Gelaber also. Viele Generalpausen und innehaltende „Breaks“ sorgen für Kurzweil. 

Zeitlich knapp bemessen ist beispielsweise die Weise „Wusel“, welche nach dem leidigen Ausfüllen einer Steuererklärung geschrieben worden sein soll. Da gackern sich in aufgeregter Hühnerhofstimmung lautmalerisch Tenorsax und Posaune gegenseitig an. In Zusammenarbeit mit der Haller Musikschule führte das Jazz-Art-Festival erstmals für Lernwillige der swingenden Sparte einen Jazz-Workshop durch. Die nicht auf den Kopf gefallenen dreisten Drei von „Three Fall“ erwiesen sich hier als professionelle und flexible Dozenten. Und ein besonderes Erfolgserlebnis für die elf Kursteilnehmer gab es am Abend, als sie zusammen mit „Three Fall“ als Schlussgag Maceo Parkers Funk-Hit „Pace the Peace“ intonierten und sogar motivierend beklatschte Soli wagten.

Pianist Paolo Paliaga, Kontrabassist Dino Contenti und Drummer Mattia Barbieri nennen ihr Trio nach einer zwischen Afrika und Spanien liegenden Insel: Alboran. Den virtuosen Italienern wird vielfach multi-ethnische Kulturambitionen unterstellt. Ihr Auftritt in der Salzsiedermetropole begann im Modus einer Nocturne von Frédéric Chopin, der ja immerhin im Winter 1838/39 auf Mallorca kühle Mittelmeerluft schnupperte. Dann Barockales wie eine genau gesetzte Invention von Johann Sebastian Bach. Der Kontrabass, mal gezupft, mal gestrichen, profiliert sich hier erst recht als gleichberechtigtes Melodieinstrument – und emanzipiert sich von der Rolle, nur die harmonisch-metrische Basis zu schaffen.

„Balkan Air“ startet und endet im agogischen Tempo und prallen Akkorden, wobei der Bass noch feine Flageoletts beisteuert. Dazwischen funktioniert Paolo Paliaga den Flügel quasi in ein Cimbalom um. Die zitherartigen Klänge erreicht der Pianist dadurch, dass er mit der linken Hand die Saiten abdämpft und mit der rechten konventionell die Tasten bedient.

Das einzige Solo-Konzert beim diesjährigen Festival bestritt David Helbock. Der österreichische Pianist machte sich auch im Inneren des Steinways zu schaffen. Vor vier Jahren konzertierte David Helbock bei den Inzwischen wegen Geldmangel leider eingestellten österlichen Theaterhaus-Jazztagen in Stuttgart. Damals brachte der noch relativ unbekannte Musiker aus Wien ein Trio mit, das sich auf Chick Corea, Esbjörn Svensson sowie Bela Bartok gleichermaßen bezog und eine große stilistische Bandbreite aufwies. Mal wohlige Harmonien, dann auch elektronisches Gezirpe und brachiale Unterarm-Cluster auf dem edlen Flügel. In den präzise fixierten Stücken herrschten stets schnelle Tempi vor. 

Nun also ein Solo-Recital von David Helbock in der Haller Hospitalkirche. Der 29-Jährige verzichtete jetzt total auf Steckdosentechnik – genauso wie auf Bart und Brille. Aber seine Mütze mit der Klaviertastur als symptomatisches Design setzte er wenigstens beim Konzert auf, nicht jedoch zuvor beim Soundcheck.

Im Jazz gibt es eine lange Tradition, aktuelle Tageschlager als Vorlagen für das Improvisieren zu nehmen. Helbock ist auch nicht der erste, der Titel von der Pop-Ikone Prince adaptiert. Hits wie „Diamonds and Perls“, „If I was your Girlfriend“ und “Kiss” hat er aufbereitet und sich dabei stilistisch in die weitläufige Jazz.-Historie vertieft. Da klingt es harmonisch nach New Orleans, Blues und Boogies werden bemüht, das Stride-Piano der Swing-Ära hämmert frohgelaunt, außerdem schimmern mal ein karibischer Calypso oder ein russischer Modest Mussorgsky durch. Und Beethovens Schicksalsmotiv aus der Fünften klopft an die Pforte

Und vor allem macht Helbock sich im Inneren des Flügels zu schaffen. Er dämpft die Saiten mittels Händedruck, eines Buches oder einer kleinen Kugel und funktioniert den Flügel partiell trickreich in ein Perkussionsinstrument um. Dann unter den gestrengen Aposteln und verspielten Barockengeln himmlisch-liebliche Harfenarpeggien. Diabolisch furios und melancholisch verhalten, melodisch betont und akkordisch breit, mal punktuelle Einzelaktionen und dann orchestrale Fülle, schmerzvoll Lautes und leise Innerlichkeit – David Helbock offerierte ein abwechslungsreiches Programm.

Nach Möglichkeit macht das Jazz-Art-Festival – seinem Namen verpflichtet – von der Hospitalkirche aus einen Abstecher zur inzwischen weltbekannten Kunsthalle Würth. Am Palmsonntag spielte dort zur frühen Mittagszeit mit viel Humor ein skurril instrumentiertes Trio, nämlich das „Ditzner Twintett“. Der Perkussionist Erwin Ditzner inszenierte zusammen mit dem Saxophonisten Lömsch Lehmann vor zwei Jahren beim fünften Haller Jazz-Art-Festival in der Goethe-Mensa einen irrwitzigen Auftritt und empfahl sich für eine Wiederverpflichtung. Sein neues Projekt nennt sich „Ditzner Twintett“: Zugposaunist Bernhard Vanecek und Tubist Roland Vanecek sind 1975 in Frankfurt geborene Zwillingsbrüder, klassisch geschult, mit enormem Jazzfeeling beseelt und überaus humorvoll. Die Ansagen von Roland Vanacek, der auch mal zum poppigen Umhänge-Keyboard, zu einer simplen Melodica oder zu einem antiken Serpent greift, beglücken durch hohe Loriot-Qualität.

Dass sich zwei Blech blasende Tieftöner als Duo präsentieren, mag zunächst abstrus erscheinen, aber mit viel Können und in Kooperative mit dem dritten Mann an den Drums bringen die Vaneceks ein spannungsgeladenes Kunstwerk zustande.

Rhythmisch tendiert da Vieles nach Südamerika, aber auch europäische Ausflüge werden unternommen, sei es Mazedonien, Mozarts „Türkischer Marsch“ verquer im Fünfvierteltakt, Anleihen beim Norweger Edvard Grieg oder beim spanischen Bolero des Franzosen Maurice Ravel. In clownesker Comedy interpretierte Roland Vanecek auf der Tuba mittels ausgefeilter Interferenztechnik polyphon den bekannten „Kanon in D-Dur“ von Johann Pachelbel, während Bruder Bernhard mit Zug und Posaune lautlos ein Violoncello mimte. Alt und Jung hatte bei dieser Art von hochwertiger Unterhaltungsmusik enormen Spaß im vollen Adolf-Würth-Saal der Kunsthalle. Live und visuell ist die aufgeweckte Formation „Ditzner Twintett“ eben noch interessanter als auf CD.

Das letzte Konzert des 7. Jazz-Art-Festivals war seit Tagen ausverkauft. Malia zog die Massen an mit Songs von Nina Simone (1933-2003), die dieses Jahr ihren 80. Geburtstag hätte feiern können. 

Die Afroamerikanerin Nina Simone schreckte zu Lebzeiten so manche Veranstalter, wenn sie für ihren Auftritt noch schnell einen kühlenden Ventilator auf dem Flügel postiert haben wollte. Und als mal ihr Haus in Südfrankreich einem Feuer heimfiel, ließ ihr Management verlauten, Brandursache sei ein wegen zu vieler Konzertanfragen heiß gelaufenes Faxgerät gewesen.

Weit unkomplizierter kommt Malia, 1978 im südostafrikanischen Kleinstaat Malawi als Tochter einer einheimischen Mutter und eines britischen Vaters geboren und nun in Zürich lebend, daher. Mit dem Album „Black Orchid“ zollt sie auf ganz eigene Weise Nina Simone ihren Tribut. Bei dem häufig radiogespielten Welthit „My Baby just cares for Me“ fehlen jetzt die holprigen Klavierläufe in fugativer Barocktechnik. Stattdessen zelebriert Malia statische Ruhe voller Innerlichkeit, kongenial unterstützt in Schwäbisch Hall von einem französischen Trio mit dem Pianisten Alexandre Saada, dem Bassisten Jean-Daniel Botta und dem Schlagzeuger Laurent Sériès. Da flechtet sie mit ihrer angenehmen Alttonlage, die auch zu glockenreinen Sopranhöhen aufsteigen kann, improvisatorisch Melodievariationen ein. Oft erinnert Malia im etwas aufgekratzten Timbre an die große Billie Holiday. Mit voluminöser Stimme interpretiert sie „I love(s) you, Porgy“ von George Gershwin. Ein sehr langsames Liebeslied, bei der die mehr an Klassik als an Jazz orientierte Begleitband auf solistische Selbstverwirklichung verzichtet.

Schließlich ein unvergesslicher Moment: Wie einst Thijs van Leer von der holländischen Gruppe Focus bemächtigt sich Alexandre Saada in der Hospitalkirche auf der Empore der kleinen Orgel und gegenüber von der hohen Kanzel singt Malia in inbrünstiger Spiritual-Manier „He ain’t comin‘ Home no more“. Vor den Zugaben besinnt sich Malia doch noch auf ihr spezielles afrikanisches Erbe und intoniert in der malawischen Sprache Chiewa ein Lied in durch Miriam Makeba popularisierter Kwela-Weise.
Vorzumerken ist jetzt der Termin für die achte Ausgabe vom Haller Jazz-Art-Festival: 26. bis 30. März 2014.

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