50 Jahre Fachzeitschrift „Jazz Podium“

STUTTGART. Fast wie die Jungfrau zum Kind kam Dieter Zimmerle zu einer eigenen Zeitschrift für den swingbegeisterten Musikfreund, und die genaue Geburtsstunde lässt sich heute nicht mehr exakt rekonstruieren. Immerhin prangt auf dem Titelblatt vom September-Heft 2002 unter einem Foto des Keyboarder Joe Zawinul bescheiden ein Rund-Signet „50 Jahre Jazz Podium“, und auf Seite 3 geht die jetzige verantwortliche Redakteurin Gudrun Endress auf das Jubiläum ein. Das Print-Medium aus Stuttgart konnte sich seit 1952 auf der ganzen Jazzwelt gehörigen Respekt verschaffen.

Das erste in den Stuttgarter Redaktionsräumen archivierte „Podium“ ist tatsächlich datiert auf September 1952. Das noch in Wien herausgegebene und zunächst auf Kino-Kultur fixierte Magazin nannte sich ausschweifend „Das internationale Podium mit den offiziellen Mitteilungen der Deutschen Jazz-Föderation“. In seiner Eigenschaft als Präsident der „23 Jazzkreise“, aus den die 1950 gegründete „Deutsche Jazz-Föderation“ bestand, lieferte Dieter Zimmerle, damals schon beim Süddeutschen Rundfunk tätig und Leiter des im Amerikahaus residierenden Jazzclubs „Der Schlüssel“, Berichte über das organisierte Swingleben im Nachkriegsdeutschland. Peu à peu verlagerte sich die ganze Redaktion und das Redigieren der Postille in die gute Stube der Familie Zimmerle – das „Jazz Podium“ ward erschaffen.

Sensationeller Aufmacher im September 1952: „Louis Armstrong kommt!“. Und die zehnwöchige Deutschlandtour von Satchmo (dem man den kommerziellen Ausrutscher „C’est si bon“ nicht verzeihen mochte) beherrschte kontrovers auch die nachfolgenden Ausgaben der Zeitschrift. In einem offenen Brief schrieb die DJF an die deutschen „Rundfunkgesellschaften“ und bat um bessere Jazzsendezeiten, die damals in der Regel erst ab Mitternacht angesetzt waren. Die aufgebrachten Swingfreunde berichteten den Intendanten von einem Gymnasiasten, der des Nachts dem Jazz lauschte und so sehr seiner Leidenschaft frönte, dass er jeweils am nächsten Morgen im Unterricht „nicht zu gebrauchen“ war und deshalb von der Schule flog… Erfolg und Vollzug konnte das „Podium“ alsbald melden: Wenigstens der damalige SDR platzierte die von Dieter Zimmerle moderierten Sendungen noch vor der Geisterstunde. Allenthalben wurde in der Monatszeitschrift (Einzelheft eine Mark, Jahresabo zehn Mark oder 3,50 Dollars) die mangelnde Anerkennung der zuvor von den Nazis verdammten Kunstform beklagt. Dieter Zimmerle 1952 ganz pathetisch: „Es steht zu hoffen, dass der Jazz in Deutschland von Menschen getragen wird, deren Liebe zur Musik stark genug ist, um sich nicht von äußeren Widerständen beirren zu lassen“.

Dies war zugleich das persönliche Credo von Zimmerle, Geld machte er mit seiner Zeitschrift nicht, er zahlte sogar drauf. Von solcher Art Idealismus lebt das „Jazz Podium“ auch heute noch: Sämtliche Text- und Bildautoren arbeiten ehrenamtlich. Honorare für die fast hundert freien Mitarbeiter kann sich das Blatt nicht leisten. Gudrun Endress, die seit Zimmerles Tod Ende 1989 die Zeitschrift leitet, erhält ebenfalls kein Geld für ihre redaktionelle Tätigkeit. Auf zwölftausend Exemplare wurde die fast ausschließlich im Abonnement vertriebene Auflage hoch geschraubt.

Anfangs kam das „Podium“ mit zwanzig Seiten aus, nunmehr sind mindestens achtzig Seiten die Regel. Nach wie vor nehmen die Plattenbesprechungen (früher Vinyls, jetzt CDs) eine bedeutende Rolle ein. Ganz zu Beginn fungierte Horst Lippmann, der später mut Fritz Rau die Konzertagentur „Lippmann + Rau“ gründen sollte, als alleiniger Rezensent. Noch vor dreißig Jahren hatten die Rundfunkprogramme und die Hinweise auf Jazzclubkonzerte jeweils bequem auf einer Seite Platz, inzwischen beanspruchen die Ankündigen der Jazzlokalitäten zuweilen gar fünf klein bedruckte Seiten. Ferner machen die Rubriken „On the Road“, „Festivals“, „Jazz Education“ und „News“ das JP zu einer geradezu unverzichtbaren Informationsquelle. Die kritische Würdigung von Konzerten und Festivals im In- und Ausland wird ebenso berücksichtigt wie musiktheoretische Analysen. Im Laufe der Zeit hat sich freilich das Musiker-Interview als tragender Bestandteil des Periodikums heraus entwickelt: Authentische Aussagen von Künstlern vermögen das vage Fabulieren und das Spekulieren von Schreibtischjazzern zu verdrängen.

Mitunter wird dem „Jazz Podium“ angekreidet, es sei etwas zu hausbacken und ein braves „Jazzgemeindeblatt“. Vor fünfzig Jahren definierte das „Podium“ den Jazz noch so: „lebendige Spontaneität, ungekünstelte Wildheit, natürliche Rasse“. Heutzutage würde man gewiss eine andere Wortwahl treffen, aber das JP begreift sich irgendwie doch als Gralshüter der swingenden Musik, wobei der Maxime Dieter Zimmerles gemäß Toleranz und Idealismus unabdingbar sind. Manch andere Jazzzeitschrift in Deutschland und anderswo ist allzu sehr mit der Phonoindustrie verbandelt und sieht sich als Plattform für die Plattenindustrie. Derart kommerziell-lukrative Auswüchse waren beim „Jazz Podium“ stets verpönt – die Unabhängigkeit sollte stets gewährleistet sein. Experimente in Layout und Inhalt werden nur behutsam vorgenommen. So zeugt die Zeitschrift von (schwäbischer?) Solidität. Immerhin ist dieses Fachblatt nun im Internet präsent, wo man die Inhaltsübersicht des neuesten Heftes abrufen kann (www. jazzpodium.de). Falls der User mehr wissen und sehen will, muss er das JP eben abonnieren….

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