Künstlerische Stammgäste und spannende Neuvorstellungen
Die 29. Internationalen Theaterhaus Jazztage begannen am Gründonnerstag mit zwei ziemlich zeitgleichen Konzerten der großorchestralen – und einer kurzen Schweigeminute für die Opfer der beiden Terroranschläge in Brüssel am 22. März. Danach wurde im ausverkauften Saal „T1“ des schwedischen Pianisten Esbjörn Svensson gedacht, der 2008 einen Tauchgang nicht überlebt hatte und 44-jährig verstorben ist.
Hans Ek, geboren 1964 in Uppsala, hat sich seines immer noch hochverehrten Landsmannes angenommen und ihm und dessen historischem Trio eine „Symphony“ gewidmet, die er mit den Münchner Symphonikern nun bei dem Stuttgarter Jazzfestival aufführte. Über den notenbasierten Klassikern Thronten prominente Jazzsolisten, die freilich selten frei aufspielen durften. Vom legendären Ensemble E.S.T. waren der Kontrabassist Dan Berglund (der mit Bogen und Elektronik ausführlich eine pop-rockige Improvisation ablieferte) und der Schlagwerker Magnus Öström dabei, den Klavierpart übernahm jetzt der Iiro Rantala. Als Bläser wirkten – dem Kompositionsdiktat gemäß relativ verhalten – der Saxophonist Marius Neset und der deutsche Trompeter Nils Wülker mit. Ein bombastisches Konzert mit beträchtlichem Unterhaltungswert, lange Ovationen für den stilübergreifenden Mix.
Andernorts wurde die Odyssee alias Odyssey reanimiert. Kein Geringerer als Christian Brückner verkörperte Homers Irrfahrer Odysseus. Die vom Radio und vom Fernsehen her vertraute Stimme las angeregt aus der hellenischen Mythologie – aber meist „a cappella“. Als Instrumentarium stand aktuell eine von dem Altsaxophonisten Magnus Mehl zusammengestellte Big Band namens „Festival Orchestra“ zur Verfügung. Der gebürtige Leipziger Heiner Schmitz hat mit seinem Gesamtkunstwerk in der Vergangenheit schon beachtliche Aufmerksamkeit erlangt – auf CD und „live“. Und auch die jungen baden-württembergischen Jazzer durften sich bei der Geschichte mit den alten Griechen künstlerisch ausleben und markante Höhepunkte setzen, beispielsweise Stephan Zimmermann mit einem feurigen Flügelhorn. Von einer direkten „Vertonung“ der antiken Literatur kann man nicht reden, vielmehr wurden eher korrespondierende Gefühlsebenen geschaffen.
Am Karfreitag gab es „Vater und Sohn“ im Doppelpack und schlussendlich alle zusammen im Quartett. Wolfgang Dauner trat in Stuttgart wieder mit seinem schlagzeugenden Nachwuchs Florian an, während Filius Hans seines Grazer Klavierkollegen Dieter Glawischnig in die Basssaiten griff. Beste Familienharmonien allenthalben – über Generationen und Genres hinweg.
Die beim Stuttgarter Osterjazz unausweichlichen Geburtstagsfeierlichkeiten wurden am Samstag abgehalten. Die Jubilare waren diesmal relativ jung: Schlagzeuger Wolfgang Haffner, 50, und der singende Posaunist Nils Landgren, 60. Sein Piano-Trio hatte Joachim Kühn, dessen 70. Im Theaterhaus vor zwei Jahren abgefeiert wurde, ganz unorthodox besetzt – mit der Cellistin Asja Valcic und dem Tabla-Trommler Prabhu Edouard. Hier wie da eine vitale Musik. Ganz offiziell Filmmusik vollführte (und veränderte) das Quartett des Akkordeonisten Luciano Biondini, darunter Ohrwurmiges seiner Landsleute Ennio Morricone und Nino Rota.
Nicht nur einmal wurde am Ostersonntag im Theaterhaus zu einem friedlichen Miteinander der Völker und Kulturen aufgerufen. So selbstverständlich, als Iiro Rantalu erneut solo auf ganz individuelle und kreative Weise die Musik von John Lennon zelebrierte. Nach einem grundlegenden Blues begann der finnische Pianist seine Programmfolge mit „Imagine“ des 1980 erschossenen Beatles, kombiniert mit „Help!“.
Vorbildlos und wirklich einzigartig agierte das Duo des Teufelsgeigers Klemens Bittmann und des nicht weniger diabolisch aufspielenden Cellisten Matthias Bartolomey. Nicht ohne Grund wird vom verstorbenen Dirigenten Nikolaus Harnocourt das meisterliche Lob kolportiert: „Super komponiert und fabelhaft gespielt! Ich höre gerne, überrascht und begeistert zu.“ Die beiden Österreicher sind voller rhythmisch-metrischer Energie bei unglaublicher Präzision. Festgelegte und improvisierte Parts verschmelzen miteinander.
Nicht so schrullig und zickig wie einst Mama Nina Simone (1933 – 2003) führt sich Tochter Lisa Simone (Jahrgang 1962) auf. Diese verzichtet auf eigene (holprige) Klavierbegleitung und startete ihre österliche Vocal-Performance mit virulenter Power. An ihrer Seite ein Begleittrio – völlig pianolos, aber mit der Gitarre von Hervé Samb, der in die stilistischen Gefilde der Country-Music vordrang. Gegen Schluss der lautstarken Show tauchten freilich doch noch etliche Platituden auf.
Der nun in New York wohnhafte israelische Pianist Shai Maestro ließ vormals in der Gruppe des Bassisten Avishai Cohen aufhorchen. Nun präsentierte er mit dem Bassisten Jorge Roeder und dem Drummer Ziv Ravitz eine eigene Formation. Geschmackvolle Musik, die den Bogen von impressionistischer Kammermusik bis zum effektvollen Klimax genüsslich spannt.
Neu ins Programm der swingenden Ostertage des Theaterhauses wurde eine „Jazz Poetry Slam“. Rezitatoren in eigener Sache kamen aus ganz Deutschland nach Stuttgart und trugen penibel ausgefeilte Texte vor. Gewitzt improvisatorisch reagierte darauf ein kompetentes Jazz-Quartett mit Eberhard Budziat (Posaune, Tuba), Magnus Mehl (Altsax), Sebastian Schuster (Bass) und Schlagzeug (Hans Fickelscher). Befragt, welcher Poet ihm wohl am besten gefallen habe, konnte Fickelscher keine Antwort geben – jeder sei auf seine Art gut gewesen. Sein kurz und bündig formuliertes Resümee: „Es hat großen Spaß gemacht mit diesen fünf jungen, unterschiedlichen und starken Poeten/innen. Auszuloten, wie Klang die Dichtung unterstützen, verstärken oder auch konterkarieren kann – dabei Gefühle spontan in Klang umzusetzen. Auch der „Ur-Slam“ in Chicago hatte eine Live-Jazzband dabei – also zurück zu den Wurzeln… Drei ausverkaufte Abende sprechen für sich…weiter so!“
Dem (oft folkloristischen) Akkordeon wurde die Ostermontagnacht gewidmet, bei der vom Publikum der Beitrag des Franzosen Vincent Peirani als Highlight erkannt wurde. In einem kleineren Saal kamen von den baden-württembergischen Pianisten Patrick Bebelaar und Tobias Becker geleitete Ensembles zu Ton. Nach zwei Tagen der Ruhe setzten die Programmmacher noch eine Coda drauf, nämlich die Jan Garbarek Group.
Künstlerische Stammgäste und interessante Neuvorstellungen – dies ist die bewährte Konzeption der Internationalen Jazztage von Organisator Werner Schretzmeier, der frohgemut für 2017 die 30. Auflage seines Festivals ankündigte.