Das schiebt sich einer durch den schwach erhellten Saal, teilt die gut 700 Menschen, badet in Menge und lässt dabei die Gitarre schreien. Unterdessen lauschen auf der Bühne Roy Rodrigues an der altehrwürdigen Hammond-Organ, der junge Robert Dell am E-Bass und Angie Smith an den Drums den Akkorden aus dem Saal, untermalen die teils wuchtigen, teils schwebenden Gitarren-Läufe von Carl Weathersby. Der Blues-Künstler, der das Glück hatte, Albert King zum Lehrmeister zu haben, spielt raffiniert mit dem Instrument und dem begeisterten Publikum.
„Der Ton schwingt sich auf, vibriert lange nach, kommt dann zur Erde zurück und verschwindet in einem abrupten Glissando“ beschreiben Kritiker das Markenzeichen Albert Kings. Und Weathersby hat die Lektionen gelernt. Meisterhaft pendelt er zwischen den Polen, reiht in extremen Dynamiksprüngen leise und filigrane Singel-Note-Reihen an hochenergetische und stampfende Glissando-Läufe. Auf seiner Gibson spielt er Ruf und Antwort zu seinem Gesang, fügt ein ein Solo von Rodrigues auf der Hammond zunächst vereinzelte Akkorde ein, baut sie zu Melodiefragmenten aus und führt das Thema schließlich zu einem wuchtigen Kollektiv.
Eher leise und nachdenklich besingt er den Blues der Leute nach dem Hurricane Katrina, verabschiedet sich schließlich weit nach Mitternacht mit einem Up-Tempo-Stück, in dem er dem Bassisten Robert Dell Gelegenheit zu einem High-Speed-Solo gewährt.
Weißbärtig tritt der zweite Amerikaner dieses 26. Lahnsteiner Bluesfestivals, Mighty Mo Rodgers, auf die Bühne, greift in die Tasten der Keyboards und wandert mit treibenden Grooves durch die Gefilde des Blues, Rock, Funk, Gospel und Reggae. Der ehemalige Ringer mit dem Philosophiestudium hat erst mit 57 Jahren seine Debüt-CD veröffentlicht und zählt zu den Bluesmusikern, die die Musik mit aktuellen politischen sowie mit geschichtlichen Texten verbinden. „Blues is my wailin´wall“ ist einer seiner treffenden Titel – etwa „der Blues ist meine Klagemauer“. Die Musik kommt bei Rodgers im modernen Soundgewand, doch die Texte stehen wie selbstverständlich im Vordergrund: Es geht um Bush und „Prisoners of war“ – klug und nicht verbissen, eingebettet in und unterstrichen durch Gospel- oder Raggae-Elemente, durch erdigen Blues und der Liebe zum Soul.
„Back in town“ titelten die Initiatoren des Lahnsteiner Bluefestivals die Wiedergeburt nach dem Rückzug des Südwestrunkfunks. Das Publikum in der vollen Stadthalle hielt dem renommierten Festival die Treue und feierte die Künstler, die ihrerseits in der Formation der „Lahnstein Blues All Stars“ dem ein Viertel Jahrhundert alten Treffen die Reverenz erwiesen. Yannick Monot, der mit Akkordeon und Blues-Harp Cajun und Zydeco pflegt, der Gitarrist Helt Oncale, der mit Geige und Violine den Blues aus Louisiana spielt, sowie die Gitarristen Biber Hermann und Richard Bargel, – der eine eher für den kraftvollen urbanen Blues, der andere ein Spezialist für den Talking-Blues. Zwischen den beiden kommt es zu wundervollen Duos, etwa in „House of pain“, in dem Hermann auf der Dobro mit Bottleneck-Einwürfen die Gitarrenläufe Bargels abrundet.
Tänzerisch beschwingt und leicht sind die fröhlich wirkenden Cajun-Stücke, in denen Oncale zur Violine greift, erdiger dagegen die Kompositionen des Rheingauer Gitarristen Hermann. Klaus Noll am Bass sowie Patrick Leuschner mit Snare-Drums vervollständigen die All-Stars an den Instrumenten, vor denen die Sängerin Giogina Kazungu nach einem zunächst etwas übertrieben quäkenden, dann aber kraftvollen Blues mit Bravour das Wagnis meistert, den Jazz-Standard „Summertime“ blues-getönt zu interpretieren: mit raffiniertem Ausdruck zwischen verrucht und naiv, kraftvoll und brüchig.
Frenetisch feierte das Publikum zur Halbzeit des Abends den Komponisten und Saxophonisten Klaus Doldinger, der in diesem Jahr mit dem Festival-Preis „Blues Louis“ ausgezeichnet wurde. Der Rockjazz-Musiker, der in seinen frühen Jahren mit Blues-Legenden wie Alexis Korner zusammen spielte, bewies denn auch mit dem Keyboarder Roberto di Gioia, dem Bassisten Patrick Scales, dem ausdrucksstarken Gitarrist Peter O´Mara sowie dem Schlagzeuger Christian Lettner, dass Jazz und Rock unüberhörbar ihre Wurzeln im Blues haben. Ungebrochen vital, kraftvoll und emotional ist das Spiel Doldingers auf dem Tenorsaxophon – ein Instrument, das variabel wie die menschliche Stimme den Blues ausdrücken kann.
Auch wenn die Projektgruppe des Festival am Nachmittag zitterte, ob denn Carl Weathersby nach einem Irrflug noch rechtzeitig in Lahnstein ankommen würde, das Konzept des Festivals und das Gespür der Initiatoren für Künstler dürfte Garant dafür sein, dass das Lahnsteiner Bluesfestival nach einer glanzvollen Vergangenheit auch eine glorreiche Zukunft hat.