Text: Klaus Mümpfer / Fotos: Edition Salzgeber
„Um Vicente Amigo zu hören, würde ich glatt 300 Kilometer fahren“, schwärmt ein Gitarrist und Gitarrenlehrer. „Und nun spielt er hier in Mainz.“ Wie er scheinen viele Gleichgesinnte zu denken, denn der Frankfurter Hof ist nahezu ausverkauft. Das Publikum feiert den Flamenco-Künstler aus Cordoba frenetisch und erzwingt Zugaben. Dann sitzt der schlanke und jugendlich wirkende Vicente Amigo im Licht des Spots und greift ein paar sanfte Appergios, füllt seine Notenlinien mit Trillern und beendet einen Lauf in der Regel mit einer hart angeschlagenen und knallenden Saitenexplosion. Seine fünf Mitmusiker runden das percussive Spiel mit zwei weiteren Saiteninstrumenten und rhythmischem Händeklatschen ab. Juan Manuel Ruiz legt eine sonore Grundlinie, Antonio Fernandez stützt den Rhythmus. Rafael de Urtrera singt in dieser Zugabe mit besonders betonter Inbrunst und Emotion, schleift die Töne mit ausgefeilten Melismen. Das „cante“ verschmilzt mit den Gitarren und den „palmas“ sowie in den letzten Stücken dieses mitreißenden Konzertes mit dem Tanz, den Dani Navarro auf den Brettern der Bühne stampft. Das Stück endet wie die meisten in einem kollektiven und abrupt endenden Crescendo. Die „Vicente Amigo Grupo“ stellt mit dem Mainzer Konzert im Frankfurter Hof ihre CD „Paseo de Gracia“ vor, mit der der Gitarrist 2009 einen Grammy einheimste.
Vicente Amigo hat nach längerer Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Manolo Sancular und als Bewunderer von Paco de Lucia einen eigenständigen Stil entwickelt, der zwar moderne Elemente und Jazz einbezieht, den klassischen Flamenco jedoch bewahrt und auf harmonische Weise verbindet. Nach einem langen Solostück swingt das Sextett auf einmal jazzig, greift Vicente fließende Akkordläufe und kurze Single-Note-Linien, bevor er in rasende Stakkati verfällt. Kennzeichnend sind die nahtlosen Wechsel der Metren von Achtel- und Viertel-Rhythmen. Das Repertoire reicht von langsamen und gefühlvollen Balladen, deren Wirkung der Gitarrist mit Vibrato und Nachschwingen unterstreicht, bis zu rasenden Gitarrenwirbeln und knallenden Saitenattacken. Vor allem sein Solo-Spiel weist den Künstler als einen unermüdlichen Forscher ästhetischer Klangfarben des Flamenco aus. Dabei verfügt er über ein feines Gespür für Rhythmen und Sounds in diesem weiten Feld der vielschichtigen Musik.
Zwischen Gesang, Tanz und Gitarrenspiel herrscht ein komplexes Wechselspiel, das strengen Regeln folgt. Vicente Amigo nickt anerkennend, als Navarro in seinen „baile“, wie beim Flamenco üblich, Oberkörper, Arme, Hände, Finger und Blicke einbezieht.
Selbst ein der spanischen Sprache Unkundiger kann sich der Faszination des Gesanges und des Tanzes nicht entziehen. Viele der Zuhörer scheinen jedoch von der Iberischen Halbinsel zu stammen, denn sie quittieren die jeweils einleitenden Worte des Gitarristen mit zustimmendem Beifall. Vicente Amigo ist ein virtuoser und kreativer Meister auf der Gitarre, die „Vicente Amigo Grupo“ für das begeisterte Publikum gewiss ein unvergessliches „Gesamtkunstwerk“.