SWR-Preisträgerkonzert: Frank Gratkowski im SWR-Foyer des Mainzer Funkhauses

Nachts im Traum erklingt die Musik und visualisiert sich: Transparente Gestalten in Weiß und Grau begegnen sich schwebend in einem weiten und lichten Raum. Und so entsprechen sie den Improvisationen des Reed-Spielers Frank Gratkowski bei seinem Preisträgerkonzert im Foyer des Südwestrundfunks in Mainz im Solo, im Duo mit dem Pianisten Misha Mengelberg sowie im Quartett mit dem Trompeter Stephan Meinberg und den beiden Bassisten Dieter Manderscheid und Wilbert de Joode.

Der Träger des Jazzpreises, der gemeinsam vom SWR und dem Land Rheinland-Pfalz mit 10 000 Euro dotiert ist, lässt die Grenzen zwischen E-Avantgarde und Jazz fließend werden. Harmoniestrukturen werden aufgelöst, die Klangfarben der Instrumente bis an die Grenzen ausgelotet, der Rhythmus hingegen pulsiert auch in den freien Improvisationen. Die Dynamik spannt sich zwischen leisen, nahezu gehauchten Atemstößen in der Klarinette, grummelnden Fließbewegungen auf der Bass- und der Kontrabassklarinette sowie attackierenden Stakkati auf dem Altsaxophon. In seinem Solo zur Preisverleihung bewegt sich Gratkowski auf der Bassklarinette zwischen der schwebenden, dunkel timbrierten Intro und fließenden Melodielinien sowie ekstatischen Aufschreien auf ein virtuoses mehrstimmiges Spiel zu, das er in schier endlosen, kreisenden Bewegungen mit Zirkularatmung auskostet. 

Duos erfordern in ihrem intimen Charakter ein besonders sensibles Aufeinandereingehen der Künstler. Im Zusammenspiel mit dem Pianisten bewegen sich Mengelberg und Gratkowski zunächst einander umspielend nebeneinander, bevor sie sich im Ruf-Antwort-Spiel treffen. Suchend und tastend wirken die Melodiekürzel, verspielt und kinderliedhaft die Pianoantworten. Doch hinter diesen scheinbar einfachen Dialogen stecken komplexe Strukturen, die nur dank der künstlerischen Virtuosität so leicht und transparent wirken. Gratkowski hat in seinen Klangfärbungen mit aufgerauten „Sheets“ einen pointillistischen Ansatz, Mengelberg mit seinen Tastenspielereien einen eher impressionistischen.

Kammermusikalische Stimmungen bestimmen auch das Spiel des Quartetts, in dem der Jazzpreisträger bewusst auf ein Schlagzeug verzichtet. De Joode und Manderscheid zupfen ihre Kontrabässe gitarrengleich, Trompeter Meinberg steigt ins Duo mit Gratkowski ein, der den Klarinettenkorpus zur Flöte umfunktioniert oder dem Mundstück Presstöne entlockt. Dann wiederum werden Manderscheid und de Joode dem Spruch „the bass is the base“ gerecht und legen percussiv bogenstreichend und zupfend die Basis für das zweistimmige Spiel der Bläser. In „Blonk“ zeichnet der Preisträger mit Klarinette und Altsaxophon schnatternd und schnalzend die menschliche Stimme nach, während Meinberg auf der Trompeter musikalischen Widerspruch übt. 

Bei der Preisverleihung zitierte SWR II-Programmchefin Micaela Lämmle aus der Begründung der Jury, dass Gratkowskis jahrelanger Einsatz für die frei improvisierte Musik, sei es als Mitglied des Grubenklangorchesters von Georg Grewe, oder des Trios von Achim Kaufmann, sei es mit eigenen Duo- und Trioformationen, seinem eigenen Quartett oder solistisch – wie auf den viel beachteten CDs „Artikulationen I und II“ – belohnt werden sollte. „Was sich Gratkowski neben vielen ungewöhnlichen Spieltechniken bei seinen Stücken immer wieder zunutze macht, ist auch die profunde Kenntnis des zeitgenössischen Komponierens.“ So gelinge es dem Künstler, das strukturbetonte Denken der neuen Musik mit der Spontaneität des Free Jazz zu verknüpfen. Das Mainzer Preisträger-Konzert belegte die Richtigkeit dieser Begründung.
Die Aufzeichnung wird am Freitag, 29. Juli 2005 ab 20.03 Uhr auf SWR II gesendet..

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