Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Mediterranes Temperament trifft auf nordisches Flair“, kommentiert Günther Huesmann den Grundcharakter von „Living Being Extended“, der Formation, mit der sich der französische Akkordeonist Vincent Peirani bei New Jazz Meeting 2013 einen Herzenswunsch erfüllen durfte. Es ist gleichzeitig auch die Erfüllung eines Wunsches von Huesmann, dem Leiter der SWR-Jazzredaktion, der seit Längerem den vielfach geehrten Franzosen bewundert. Beim Abschlusskonzert im Frankfurter Hof in Mainz beginnt dieses Poly-Jazz-Abenteuer mit einer Intro des Akkordeonisten, das bald kraftvoll beschwingt und dennoch leichtfüßig von der Band abgelöst wird und mit „Cuba si, Cuba no“ in Latin-Stimmungen führt. Diese Formation entwickelt einen Klangteppich, in den Elemente von Klezmer, Pop, Musette, Latin, Swing-Jazz und Folklore gewebt werden.
Um Huesmanns Einschätzung zu bestätigen, bestimmt in Peiranis nachfolgender Suite der Trompeter Mathias Eick aus Norwegen den Klang bereits mit dem einleitenden Solo. Sein warmer, runder und schwebender Ton bewegt sich in der Tradition skandinavischer Tristesse, wird vom Akkordeon dunkel timbriert und getragen im Tempo aufgenommen. Die Sängerin Leila Martial haucht, summt und singt sanfte Vokalisen, die von Emile Parisien auf dem Sopransaxophon weitergesponnen werden. Das Septett übernimmt das Thema, steigert Intensität und Dichte über einem ostinaten Klangteppich des Pianisten Tony Paeleman auf den Keyboards, um kurz vor dem Crescendo den „Part IV der Suite en V“ sanft ausklingen zu lassen.
„Living Being Extended“ ist praktisch eine erweiterte Fassung von Peiranis eigentlicher Formation „Being Living“. So werden in den Tagen des New Jazz Meetings in den SWR-Studios in Baden-Baden natürlich einige Kompositionen Peiranis mit der aktuellen Besetzung neu erarbeitet. „Hypnotic“, „Some Monk“ oder der wilde Balkan-Ritt „Cocek“ in der Zugabe wecken dabei Assoziationen.
Mal lässt Peirani sein Akkordeon zirpen, fauchen, seufzen oder rasant klappern, dann wieder in einer Ballade choralartig wie eine Orgel tönen. In der Solo-Zugabe „Throw it away“ spielt der Akkordeonist sein musikalisches Kaleidoskop an Klangfarben und Rhythmen, an ökonomisch gesetzten Akkorden und tönenden Pausen aus. Mit Harmonievariationen unterlegt Peirani den balladesken Gesang von Leila Martial und die sanften Linien des Trompeters Mathias Eick zur Besenarbeit des Dummers Yoann Serra. Harmonien scheinen der gälischen Folklore entlehnt und die Musik ist nahe an der „folklore imaginaire“.
Die junge und ausdrucksstarke Sängerin Martial aus Frankreich orientiert sich weniger am klassischen Jazzgesang, sondern nutzt ihre Stimme wie ein Instrument. Sie reiht Vokalisen, scattet, schreit, stammelt und trällert, wiegt sich zu Duke Ellingtons „Dancers in Love“ in der Zugabe ausgelassen tanzend. Ihre Kleinmädchenstimme steigt in atmosphärische Höhen. Zu Eicks schwebendem Trompetensound kontrastieren expressiv die Soli des französischen Sopransaxophonisten Emile Parisien. Er bläst mit starker Emotion und Intensität, baut seine Soli dramaturgisch aus. E-Bassist Julien Herné sorgt gemeinsam mit Schlagzeuger Serra ebenso für vielfältiges Rhythmusgeflecht wie für rockigen Groove in den treibenden Full-Band-Parts.
Zwar stammen die meisten Kompositionen ursprünglich von Vincent Peirani, dennoch versteht sich der Akkordeonist beim New Jazz Meeting nicht als Leader, sondern als Katalysator und Netzwerktechniker für die Ideen, die die Partner bei den gemeinsamen Proben in dem traditionsreichen Klanglabor einbringen. Das Ergebnis dokumentiert neben der Begegnung von mediterraner Vitalität und nordischer Meditation auch die Frische und Aufbruchstimmung des zeitgenössischen gallischen Jazz. Kein Wunder, dass sich die Mitglieder nicht als Jazzer, sondern als Künstler verstehen, die ohne Scheuklappen nach neuen Ausdrucksformen suchen.