Review: Ornette Coleman – The Shape of Jazz to Come

Atlantic, rec. 1959

Zurückhaltend aber selbstbewußt blickt Coleman von dieser Plattenhülle, das Plastikaltsaxophon liebevoll im Arm. „Let’s play the music, not the background“ war die Maxime mit der Ornette Coleman auf der Tribüne des Jazz antrat.

1959, als diese Aufnahmen entstanden, fegten sie wie ein frischer Wind durch die Jazzszene und polarisierten die Zuhörer in zwei Fraktionen. Die einen konnten nichts mit Colemans Musik anfangen und hielten ihn zudem für einen schlechten Saxophonisten. Die anderen sahen in ihm den wichtigsten Neuerer seit Charlie Parker. John Lewis vom Modern Jazz Quartet sagte über Ornette: „Ornette Coleman tut das einzig wirklich neue im Jazz seit den Neuerungen von Dizzy Gillespie und Charlie Parker in der Mitter der vierziger Jahre und seit Thelonious Monk“.

Mit der Platte „The Shape of Jazz to come“ befindet sich Coleman auf der Schwelle zu einer neuen Epoche im Jazz.

Frei in harmonischer Hinsicht und von traditionellen Formschemata zeigt er sich auf den Stücken dieser Aufnahme. Genau dies war auch die Ursache für das anfängliche Unverständnis auf das diese Musik in weiten Kreisen stieß. Geprägt werden die Aufnahmen in Quartettbesetzung durch das Zusammen- und Solospiel von Coleman und Don Cherry. Über deren Spiel merkte J. Lewis an: „…sie spielen zusammen, wie ich niemals zuvor irgend jemand zusammenspielen gehört habe. Ich kann mir nicht vorstellen wie sie zusammen anfangen. Ich habe noch nie so eine Art Ensemblespiel gehört…“

Vor allem Coleman’s Fähigkeiten als Komponist zeigen sich auf den verschiedenen Stücken dieser Platte. Seine Themen sind immer vom Blues beeinflußt den er während seiner Jugend im ländlichen Texas aufgesogen hatte. Seine erste Platte nahm er als Sideman des Blues-Sängers Clarence Samuels auf. Der Kritiker A. Spellmann: „Ornette’s Musik ist nichts als der Blues“ und Joachim Ernst Berendt schreibt: „Ornette ist ein totaler Bluesmusiker“. Coleman selbst ist der Meinung, daß ein „f“ in einem Stück, das Frieden heißt, nicht klingen darf wie ein „f“ in einem Stück, das Traurigkeit heißt.

Zwar spielt bei Coleman die Komposition eine wesentliche Rolle (manche Kritiker bemerken ein Primat der Komposition vor der Improvisation), aber er nimmt sich die Freiheit diese Kompositionen extrem frei zu gestalten: „Wenn du morgens aufstehst, mußt du dich zuerst anziehen, bevor du hinausgehen und deinen Tag leben kannst. Aber deine Kleidung sagt dir nicht, wohin du gehen kannst, sie geht dorthin, wo du hin gehst. Eine Melodie ist wie deine Kleidung.“

Seine Melodien sind eigenwillig, „Lonely Woman“ ist ein schönes Beispiel für ein eigenwilliges Thema, das von Coleman und Cherry sehr frei ausgelotet wird. Bill Higgins an den drums und Charlie Haden am Baß bieten immer noch eine traditionelle Rhythmusgruppe aber die beiden Solisten haben sich längst von den traditionellen Formschemata verabschiedet. Die Melodie wird in den Soli kaum noch aufgenommen und die Grundstimmung des Stückes schwankt zwischen verschiedenen emotionalen Fixpunkten. Ebenso „schwankend“ auch die rhythmische Komponente. Zunächst die Vorstellung des „klagenden“ Haupttehmas, kurz darauf das radikale Zerschmettern dieses Themas durch eine rasante bebopmäßige Passage von Coleman und Cherry.

Trotz extremer Unterschiede in ein und demselben Stück ist es doch von einer faszinierenden inneren Logik, erstaunlich geschlossen. Manchmal wirken die Einzelelemente simpel und ergänzen sich doch wunderbar zu einem komplexen Ganzen.

Ein weiteres gutes Beispiel für diese Vielfalt findet sich auch in Congeniality, die thematische Stuktur bewegt sich zwischen Unrast, Aufgekraztsein, Glück, Trauer und bietet dem Solisten die Freiheit jedem dieser Gefühle nachzuspüren.

Natürlich ist Colemans Musik nicht unbeeinflusst von ihrem Umfeld und den Vorgängern. Bebopelemente und die allzeit gegenwärtige Präsenz des Blues durchziehen die ganze Platte. Einerseits also noch der Tradition verhaftet und doch schon darüberhinausschauend, in eine Richtung die durch Colemans folgende Platte mit dem programmatischen Namen „Free Jazz“ eine neue Epoche im Jazz einläuten sollte.

(fs) some time in the 1990ies

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