Aus dem Dunkel der Bühne schwebt ein zager Trompetenton in den Saal. Leise und unterkühlt. Passend zu den blauen, zitternden Linien, die sich in der Videoprojektion über die Stoffwände des Bühnenhintergrundes schlängeln. Audun Kleive streichelt die Felle der Toms mit den Besen oder streicht die Becken quietschend mit den Sticks. Eivind Aarset begleitet den elegischen Trompetenton von Nils Petter Molvaer mit ein paar melancholischen Harmonien auf der Gitarre. „Sabkah“ von der neuen CD „Hamada“ ist eines der leisen Stücke dieses Konzertes in der Rüsselsheimer Jazzfabrik, deren Organisatoren wegen des großen Publikumszuspruches sogar Stehplätze verkaufen mussten.
Der Norweger ist ein Freund extremer Kontraste und abrupter Dynamiksprünge. So steigert sich die Lautstärke und Intensität der Kollektive etwa in „Cruel Altidude“ mehrfach zu elektronischen, aufreibenden Crescendi, in denen der Sound der Trompete trotz greller Überblastechnik unterzugehen scheint. Molvaer stellt dann sein Instrument zur Seite und ergänzt die verfremdeten, kreischenden und hämmernden Klangbilder von Gitarre und Schlagzeug mit Stimmbandakrobatik im Mikrophon.
Die Farbe der Videoeinspielung wechselt in aggressives Rot. Harte Trommelschläge bestimmen den Beat. Die Baritongitarre taucht in die Tiefen hinab und verbindet sich mit dem Schlagzeug zu einem stampfenden „Drum ´n Bass“-Geflecht, über dem die Trompete hell und klar mit Echos, Hall und Loops ihre Kreise zieht. In „Icy Altidude“ streicht Aarset mit dem Bogen über die Saiten der Gitarre und webt einen Soundteppich, dessen Muster von den Beckenklängen und Molvaers Laptop-Einflüsterungen bestimmt wird. Sprachfetzen und Geräusche aus dem Computer verdichten die Klangbilder zu Collagen.
Der Soundtüftler aus dem Land der Fjorde pflegt durchaus mit coolen Jazzphrasierungen das Klischee nordischer Kühle und weckt Assoziationen an Miles Davis, doch ebenso kultiviert er bombastische Klanglandschaften von teils düster drohender Ausstrahlung der legendären Posaunen von Jericho. Gitarrist Aarset hat dafür den Begriff „Electronique noir“ kreiert (und selbst eine CD mit diesem Titel eingespielt).
Scharfe Riffs und jaulende Glissandi schöpft er aus seinen Heavy-Rock-Efahrungen. Aus diesem Kontrastprogramm erwächst eine eigenständige Ästhetik, doch hin und wieder fällt es dem Zuhörer schwer, Strukturen und die notwendige innere Logik zu erkennen. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch die offensichtliche Unabhängigkeit selbst des elektronisch veränderten Trompetenklangs gegenüber dem Synthesizer-Wabern. Erholsam transparent sind dagegen die offenen Improvisationen – etwa im Zwiegespräch von Kleive und Molvaer – in dem der Schlagzeuger auf einem Becken wie auf einem Tonkrug mit fernöstlicher Percussion brilliert, der Trompeter sein Instrument in den höchsten Lagen leicht überbläst, seinen Atem klanglich mitwirken lässt, um schließlich wieder leicht angeraut in die Mittellagen hinabzusteigen.
Diese Mixtur aus jazzigen Improvisationen, Lounge, Drum ´n Bass, Rock, Noise und Folklore, lebt aus der Zusammenführung melodischen Wohlklangs und sensibler Melancholie mit elektronisch erzeugten hypnotisch wirkenden Beats und Industrial-Sounds sowie der visuellen Abrundung, denn neben den Ohren sind auch die Augen in das Gesamtkonzept einbezogen. Die rhythmisch wechselnden Farbkompositionen sind mehr als Hinweise auf Molvaers Filmmusiken. Das begeisterte Publikum rang dem Trio Zugaben ab, als die Musiker sich eigentlich schon verabschiedet hatten.