„Clarinet Summit“ feiert Comeback
Ein Festival, das speziell der Klarinette gewidmet ist und damit noch von Köln aus durch Deutschland tourt – Annette Maye hat dies organisatorisch gewagt und gewonnen. Die 1974 in Flensburg geborene Einfachrohrblattbläserin studierte einst in der rheinischen Domstadt bei Claudio Puntin und Frank Gratkowski und wurde bekannt mit dem Trio „FisFüz“, welches sich speziell der türkischen Musik widmet.
Jetzt hat sie das Unternehmen „Clarinet Summit“, das Joachim Ernst Berendt Ende 1979 beim Südwestfunk inszenierte, zum gefeierten Comeback verholfen. Bernd Konrad, Perry Robinson und Theo Jörgensmann waren bereits drei Jahre zuvor bei dem Projekt „Clarinet Contrast“ (das sich in seiner Namensgebung an einer für Benny Goodman geschriebenen Komposition von Bela Bartok orientierte) anlässlich des Deutschen Jazz Festivals in Frankfurt beteiligt: Fünf Klarinettisten in der „front line“. Der in Baden-Baden residierende Jazzpapst lud zu Radio-Aufnahmen und Konzert im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz als weitere „Schwarzwurzel“-Meister noch Gianluigi Trovesi, John Carter und Luten Petrowsky ein. Der Afroamerikaner ist 1991 erst 61-jährig verstorben, und der Ostdeutsche schickte sich nach seinem 80. Geburtstag in den wohlverdienten Ruhestand. Von der Urbesetzung war nach 36 Jahren aber der Dresdner Schlagwerker Baby Sommer mit von der Partie – vital, theatralisch und unorthodox wie ehedem.
Doch das klarinettistische Gipfeltreffen anno 2015 kam ganz frisch daher. Aus dem alten Repertoire, das man auf einer legendären MPS-LP anhören kann, wurde lediglich das Titelstück „You Better Fly Away“ übernommen, ein dreivierteltaktiges Werk Bernd Konrads mit Bebop-Rhythmen. In seiner neuen Version nutzte der emeritierte Professor nun die Gelegenheit zu einer ausführlichen Introduktion solo auf der Bassklarinette inklusive perkussionsartigen Schnalzimpulslauten. Dann muntere Interaktionen untereinander, so wie dies auch beim Konzertopener „Viva il Vino spumeggiante“ von Gianluigi Trovesi der Fall war. Überschäumende Spielfreude lebte allenthalben auf, virtuoses Spiel geschah quasi beiläufig. Avantgardisten mit Bodenhaftung. Die beiden Kölner Saitenkünstler Albrecht Maurer (Violine) und Sebastian Gramss (Kontrabass) mischten kreativ mit.
Groß zum Zuge kam Perry Robinson (77), der übrigens schon mit den komponierenden Piano-Persönlichkeiten Dave Brubeck und Carla Bley kooperierte, erst gegen Ende des Abends. Im von Baby Sommer verfassten „Hymnus“ blies er auf der konventionellen B-Klarinette archaisch-inbrünstig viele „blue notes“ und wies so erst recht auf den Spiritual-Charakter dieser Klerikal-Nummer hin. Bei seinem Stück „For Bob Marley“ griff Perry pfiffig zur Miniatur-Panflöte und verlustierte sich solistisch in einem aufregenden Reggae, dieweil seine Compagnons bei dieser Zugabe sukzessive das Spielfeld verließen – wie in Haydns „Abschiedssinfonie“.
Gianluigi Trovesi war der meistbeschäftigte Instrumentalist des Abends – bei allen drei Formationen beteiligte er sich prominent. Innerhalb des Quintetts „Vinograd-Express“ sorgte der versierte Altklarinettist zusammen mit Annette Maye (Klarinette sowie Bassklarinette) und dem Trompeter Udo Moll für schmissige Melodielinien im jüdisch-orientalischen Genre. Zusammen mit der agilen Festivalleiterin und Baby Sommer fungierte Trovesi noch als Gast bei dem beherzten Pianisten Patrick Bebelaar, der den stilistischen Bogen vom südamerikanischen Tango bis zum südafrikanischen Hit „The Lion Sleeps Tonight“ spannte. Bebelaars regulärer Duo-Kollege Frank Kroll hatte seine Bassklarinette zu Hause gelassen und brachte nur sein Sopransaxophon mit, auf dem er das Leitthema des Festivals besonders berücksichtigte, nämlich Multiphonics, also Mehrklänge, welche das natürliche Obertonspektrum aufsplitten, zu erzeugen. Ein ganzer Akkord-Klang anstatt nur ein Ton auf einem eigentlich einstimmigen Instrument.
An anderen Abenden des Festivals „on tour“ präsentierten sich beispielsweise noch die formidablen französischen Klarinettisten Michel Portal und Louis Sclavis mit ihren aktuellen Ensembles. Aber die reanimierte Ausgabe vom „Clarinet Summit“ blieb das Highlight der diesjährigen weiträumigen „Multiphonics“-Aktionen. Die „WAZ“ titelte „Gelungenes Comeback der Klarinetten-Künstler“ und fügte schlussendlich hinzu: „Die Legende lebt“. Zu Berendts Zeiten sei der internationale Klarinettentreff von ständiger Anspannung geprägt gewesen, jetzt aber sei alles relaxed und humorvoll vonstatten gegangen, erinnert sich der längst von Bottrop an die Ostsee emigrierte Theo Jörgensmann.