„Jazz in Progress“ der Jazzfabrik Rüsselsheim: Ulrike Haage sowie Sandra Weckert, 23. April 2005

Auf ihrer Out-Liste stehen ganz oben Jazzmusiker, die nicht mit dem Publikum kommunizieren. Sandra Weckert würde auf ihrem Papier mit Sicherheit nie auftauchen. Nicht nur, dass sie als Moderatorin ihrer Kompositionen nette Geschichthen zu erzählen weiß, ihre Musik selbst ist kommunikativ, springt das Publikum geradezu an. Niemand kann sich diesem unbändigen Humor, der schrägen und witzigen Musizierweise, den anarchischen Harmoniestrukturen, den rasanten Rhythmen, den satirischen Titeln und Texten entziehen.

Sandra Weckert und ihre „Exotic Fruits“ kennen keine stilistischen Grenzen. In diesem Prinzip ähnelt das Quintett mit Keyboarder Peer Neumann, Tenorsaxophonisten John Gürtler, Bassisten Derek Shirley, Schlagzeuger Tomas Svensson und Sandra Weckert an Saxophonen, Melodica sowie mit Gesang und Pfeifen der Gruppe Olaf Ton, die am Vorabend beim Festival Jazz in Progress auf derselben Bühne des Rüsselsheimer Cafés „Rind“ allen ernsthaften Jazzbemühungen getrotzt hatten.

„Jazz ist (in der Tat) schwer (zu definieren)“, wenn zwei Melodicas zu Keyboard-Sounds in einem chaotischen Rhythmusgeflecht schräge Jahrmarktsstimmung produzieren. Ein anders Mal landen Exotic Fruits nach einem getragenen hymnischen Auftakt mit Saxophonen sowie Keyboards und gestrichenem Bass in spitzen Disharmonien und einem Hip-Hop-Rhythmus. Bajuwarische und Tiroler Volksmusik sorgen offensichtlich in diesen Jazzkreisen für unerschöpflich Inspirationen. Exotic Fruits nehmen in „Musch Silbernagel Kastelruther Jazzspatzen“ mit einer scheinbar lieblichen Vokalintro die Anregung auf, bevor die Gruppe mit Bass und Drums sowie dem Baritonsaxophon Weckerts auf musikalische Abwege gerät. Weil auch George W. Bush ganz oben auf ihrer Out-Liste steht, hat Sandra Weckert ihm ein Liebeslied gewidmet, das Saxophonist Gürtler mit trügerisch-satirischer Rührseligkeit vorträgt. 

Die musikalischen Inhalte der Weckertschen Kompositionen sind so witzig, abstrus, skurril wie die Titel. Da bedarf es exzellenter Instrumentalisten, um diese Ideen hörenswert umzusetzen – und darüber verfügen Exotic Fruits glücklicherweise. Gürtler erweist sich in „Auf keinen Fall Kamillentee“ mit sonorem Ton als Balladen-Meister, in anderen Stücken wieder als eruptiver Bebopper. Und wer glaubt, dass die Band in „Schützen sie ihren Postzusteller vor Überfällen“ ihr atemberaubend rasantes Spiel nicht noch steigern könnte, der muss sich eines Besseren belehren lassen. 

Ulrike Haages Ironie ist feinsinniger und hintergründiger. Wenn sie etwa ein Stück „A single Rrose“ (lautmalerisch A single Eros) oder ihre Solo-CD „Sélavy“ (C´est la vie) nennt. Versponnener ist auch ihr Spiel auf dem dezent präparierten Flügel, mit dem der letzte Jazzfabrik-Abend kontrastierend begonnen hatte. Fragile Improvisationen, kräftige Läufe und zwischendurch komplexe Akkordschichtungen kennzeichnen die Stücke der Pianistin und Komponistin. „Trunken Lied“ eröffnet die Trägerin des Deutschen Mangeldsdorff-Jazzpreises mit einer verspielten, tastenden Singel-Note-Improvisation, bevor sie zu einem kraftvollen, perlenden Lauf mit spitzen Akzenten ansetzt. Beschwörende Trommelrhythmen steuert der Laptop bei, zu Bass-Ostinati auf abgedämpften Saiten setzt sie grelle und hart angeschlagene Töne in den höchsten Lagen, um schließlich in Romantizismen à la Keith Jarrett zu landen. Das Spiel fließt mal munter dahin, dann wieder sperrig in abrupten Wechseln von Akkordspiel zu kurzen Einzel-Noten-Linien, zieht Dynamik aus kraftvollen Bass-Ostinati und zart angerissenen Saiten im Innern des Flügels. Die gelungene Verbindung von Geräuschcollagen mit Pianoimprovisationen verraten die Erfahrung der Komponistin aus Hörspiel und Theaterproduktionen.

Es ist diese gewollte innere Widersprüchlichkeit, die verhindert, dass die lyrische Grundstimmung in Gefühlsseligkeit abschmiert. So pendelt die Pianistin zwischen Impressionismus und Minimalismus, zwischen Jazz und Klassik, zwischen Poesie und Ironie.

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